Zwischen Schwarz-Rot-Gold und Schwarz-Weiß-Rot
Das Ringen um die Reichseinheit
Exkursion auf den Spuren von Theodor Körner und Otto von Bismarck
Seminarreise mit Prof. Dr. Dr. Ulrich Matthée, Kiel,
vom 30. April bis 2. Mai 1993
Reisebericht von Herta Schramm, Wachtberg-Pech bei Bonn
(Ergänzungen und Anmerkungen in Schrägschrift sowie 24 Fotos von Manfred Maronde)
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Inhalt:
  • Friedrichsruh im Sachsenwald, Bismarck-Museum und -Mausoleum
  • Wöbbelin in Mecklenburg, Theodor-Körner-Gedenkstätte und -Museum
  • Rühstädt an der Elbe, Storchendorf, Herrenhaus und Kirche
  • Plattenburg bei Bad Wilsnack, Wasserburg
  • Bad Wilsnack, Wallfahrtskirche
  • Havelberg, Dom und Museum
  • Schönhausen, Kirche und Park
  • Wust, Kirche und Gruft
  • Jerichow, Prämonstratenser-Kloster und Museum
  • Tangermünde
  • Briest, Bismarck-Herrenhaus
  • Burgstall, Bismarck-Herrenhaus
  • Döbbelin, Bismarck-Herrenhaus und Kirche
  • Krevese, Bismarck-Herrenhaus und Kirche
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Meine Lektüre „Der Kanzler in seinen Briefen, Reden und Erinnerungen" (Bücher der Rose) begleitete mich bereits wochenlang vorher (bis ins Bett!). Am Donnerstag - erst gegen 13 Uhr - starteten wir mit Mercedes gen Hamburg-Wentorf. Wir meinten ganz schlau zu sein und fuhren über Hannover (in Bochum war eine Demo), aber bereits hinter Wuppertal standen wir ziemlich fest, da sind 1 1/2 St. im heißen Auto schleichend sehr mühsam, später ging's zügig, sogar um Hamburg in Richtung Lübeck, Bergedorf Ausfahrt nach Wentorf - statt 18 Uhr landeten wir um 19 Uhr.

Sehr lieb empfangen von Peter Krögers Frau Helga, in einem herrlichen Haus voller Preußenattribute. Bücher, dazu zwei kleine Hunde, ein edel ausgebautes oberes Stockwerk, Bad und Schlafkoje für uns. Mit dem kleinen Peter gemeinsam essen wir, unternehmen einen Rundgang zum Geschäft (Edeka), genau mit uns kommen der große Peter und „Meister Uli vom Vortrag in Schwarzenbek über Bismarcks Vorfahren. Uli hat Hunger, er hatte einen anstrengenden Tag, dazu schmeckt uns allen ein guter Wein, es ist fröhlich in Vorfreude auf die Reise!

Freitag, 30. April. Für Krögers beginnt der Tag sehr früh, er muß zum Großmarkt, sie bereitet im Geschäft vor, um 8 ist Frühstück, Herr Kröger bringt Matthée zur Bahn, wir starten nach 9 gen Friedrichsruh-Aumühle im Sachsenwald, eine parkähnliche Landschaft.

Treffpunkt der Reisefreunde ist der Parkplatz neben dem Museum: viele bekannte Gesichter (Namen weg gelassen))Unsere Besichtigung beginnt mit dem Museum: Im alten Landhaus haben die geretteten historischen Gegenstände einen würdigen Platz (Foto oben), das Schloß wurde 1945 bei einem Luftangriff zerstört - der Sachsenwald wurde dem Fürsten 1871 als Dotation übereignet).
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Im Vorraum der Wappenschild: drei silberne Eichenblätter und drei goldene Kleeblätter, die übergroße Standuhr. Raum mit Bildern von Lenbach: Skizze über der Tür, Ölbild Bismarck zu Pferd, Arzt Schweninger (Leibarzt des Kanzlers), Fürstendiplom 1871, Bild von Bismarck mit Napoleon III., Schlacht Mars la Tour: Vater Otto organisiert Hühner für die verwundeten Söhne! Raum mit Bild der Kaiserproklamation (zum 70. Geburtstag gemalt von Anton v. Werner, unten), Gemälde berühmter Persönlichkeiten wie Kaiser Franz Joseph und König Umberto, der Familienstammbaum, das Modell vom Panzerkreuzer Bismarck, der silberne Küraß, die Stulpenstiefel, Fotos und Stiche der Bismarckschen Besitzungen. Arbeitszimmer aus dem Schloß und ein Schreibtisch aus Berlin. Gute Ausführungen im Heft über das Museum.
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Im „Marche funlibre" über die Bahnschienen Hamburg - Berlin (zwischen Schloß und Kapelle, jetzt ist hier ein Fußgängertunnel) eine Treppe hinauf zum Mausoleum: ein Oktogon im neuromanischen Stil nach dem Vorbild des Theoderich-Grabmals. Am Marmorsarkophag (Foto unten links) im oberen Teil der Kapelle steht der Spruch: „Fürst von Bismarck 1815 - 1898, ein treuer Diener Kaiser Wilhelm I." Im unteren Teil Ruhestätte des Fürsten Herbert, Gemahlin geb. Gräfin Weda und des ältesten Sohnes Otto. Vor dem Mausoleum berichtet Matthée über Bismarcks Krankheiten: Er wollte sich keiner Disziplin unterwerfen. Ab 42 Jahren nach einem Jagdsturz hatte er Beschwerden; übermäßiges Essen und Trinken ruinierten zusätzlich seine Gesundheit - die letzten 15 Jahre betreute ihn der Arzt Schweninger.
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12 Uhr fahren wir los - die Route: Bundesstraße 207, Autobahn 24 (vorbei an einstiger Grenzübergangsstelle Gudow, wir erkennen manches wieder, die A 24 sehr gut ausgebaut) bis Abfahrt Ludwigslust - B 106 nach Wöbbelin.
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In Wöbbelin 13 Uhr: Besuch der Gedenkstätte von Theodor Körner: Nach dem schmachvollen Frieden von Tilsit 1807 wecken die Sänger der Befreiungskriege langsam den Widerstand des deutschen Volkes: Körner war Sänger und Held zugleich. Nach einem sehr stürmischen Leben als Bergmann Student der Geschichte und Philosophie, als Dichter in Wien, schließlich Theaterdichter in der Hofburg, trat er 1812 in das Lützowsche Freikorps und wurde tödlich verletzt im Wald von Gadebusch (1791 - 1813), ein großes Talent voller Musik und Begeisterung eine Dame schickte mir ein Volksbuch der Literatur über Körner!).
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Die Farben Schwarz-Rot-Gold sind die Farben der Waffenröcke der Lützower Jäger - Sinnbild und Fahne seit 1815 - Schwarz-Weiß-Rot sind die Bundesfarben seit 1867 (norddeutscher Bund): schwarz-weiß für Preußen und weiß-rot die alten Farben des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation.

Auf dem Friedhof unter herrlichen Bäumen steht die Büste von Körner - sehr ergreifend sind die Gedichte „Abschied vom Leben", „Lützows wilde Jagd" und ein Liebeslied. Dann suchen wir sein Grab auf: ein Denkmal in der Form eines vierseitigen Altares, der mit Leier und Schwert, von einem Eichenkranz umwunden, gekrönt ist. „Du Schwert an meiner Linken, was soll dein heitres Blinken? Schaust mich so freundlich an." (im Foto links Peter jun. und sen. Kröger, in der Mitte Matthée) Matthée hat uns vorgelesen: Dieser Jüngling war ein Schwärmer und Idealist, treu bis zur Selbstopferung, wie wir auch aus seiner Dichtung ablesen können. Bereits im Elternhaus begegnete er den Großen seiner Zeit, Schiller, später Goethe, Humboldt, Schlegel, Kleist, seine Patin war Dorothea von Kurland.

Um 14 Uhr weiter über Ludwigslust (Barockschloß und Kasernen des 17. Dragonerregimentes) nach Garlin zum Hotel „Landhaus Toft": inmitten von Wiesen ein edles neues Hotel mit hübschen, geschmackvoll eingerichteten Zimmern - ein gutes Mittagessen stärkt uns, danach eine kleine Mittagspause, herrlich! (Anmerkung: Wenige Jahre später endete der Hotelbetrieb, zwei weitere Wirte mühten sich vergeblich, das Haus steht leer.)

Nachmittags auf die Bundesstraße 5 über Karstädt, vorbei am Gelände der Raubritter Quitzow, durch Perleberg mit Blick auf den Marktplatz mit dem Roland - dann B 189 nach Rühstädt (Prignitz): große Freude, denn dies Storchendorf wurde besonders gelobt. Der Ort gehörte zum Bistum Havelberg, Dietrich II. belehnte damit die Herren von Quitzow (1384), sie besaßen auch die wichtige Elbfähre bis 1719. König Friedrich Wilhelm schenkte Rühstädt dem Feldmarschall von Grumbkow, 1780 kam es in Besitz der Herren von Jagow (bis 1945), die das schlichte Rokokoschloß erbauen ließen. Auf vielen Dächern sind Storchennester, beim Schloß ein Wasserturm sehr malerisch, ebenso die Rückfront des Schlosses mit renoviertem Mittelrisalit, die Spuren des Wiederanfangs sind deutlich. In der Apsis der gegenüber liegenden Dorfkirche Wandmalereien aus dem 15. Jh., Grabmäler der Herren von Quitzow und Jagow. In der Kirche ein gotischer Altar mit Gott und Maria, seitlich Petrus und Paulus, in der Apsis das Jüngste Gericht. Wappen: Quitzow mit Sternen, von der Schulenburg drei Adlerkrallen, von Alvensleben drei Rosen.

Nächster Halt an den Elbdeichen, dem Zusammenfluß der Havel und Elbe, ein strategisch wichtiger Punkt, besonders erkennbar an der Straße für die Panzer! Wir erfreuen uns an dem weiten Blick und entspannen...

Fahrt durch Bad Wilsnack, eine Prozession im Wallfahrtsort, am Straßenrand ein Denkmal vom Raubritter Dietrich von Quitzow, Söldner der Hohenzollern erschlugen ihn. Eigentlich sollten wir hier Quartier beziehen, es reichte der Platz nicht für 36.
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Die Plattenburg: Die Burg in dem wald- und wasserreichen Gebiet wurde vom Markgraf Woldemar an den Bischof Reiner von Havelberg 1319 verkauft, ausgebaut durch Einnahmen der Pilger zur Wunderbluthostie aus Wilsnack. In der Reformation verpfändete Kurfürst Joachim II. mit Zustimmung des Domkapitels Burg und Herrschaft an seinen Kämmerer M. v. Saldern für 20.000 Gulden, die sie von 1552 bis 1945 besaßen. Die Burg am Flüßchen Karthane besteht aus Oberburg und Unterburg und einer Vorburg, der älteste Teil der Hochburg ist der Bischofsflügel (Halle, Speisesaal um 1600 im Stil der Spätrenaissance umgestaltet).

Vom Innenhof der Plattenburg aus besichtigen wir zunächst die Kapelle. Hier wird renoviert, seit zwei Jahren gibt es einen Förderverein. Oben auf der Empore sind die Wappen der Familien: von Saldern mit Rosen (Braunschweig), von Klitzing, von der Schulenburg, Putlitz, Flotow, Königsmark, Quitzow („sie inhalierten lustvoll das süße Gift der Anarchie"; so Meister Uli).

Im Rittersaal sitzen wir bei einem Imbiß - anschließend sagt Matthée einiges zur Geschichte der Burg und der Familie von Saldern: Der prächtige Kamin mit Wappen wurde vom Sohn von M. v. Saldern gestaltet, die Holztür ist eine Meisterleistung des 17. Jh. (Eingang zum Rittersaal). Mich erinnert die Plattenburg an eine Ordensburg, mit dem Wasser rundum liegt sie im Grünen eingebettet. Kurz vor 22 Uhr sind wir zurück im Hotel - ich sitze noch zusammen mit Herrn Maronde und Frau Matthée (der Sohn von Frau Matthée aus erster Ehe ist mit in der Reisegruppe), so läuft unser Gespräch in der Richtung Ehe und Familie.

Samstag, 1. Mai. Morgenblick aus unserm Zimmer über die Wiesen im Mai - Frühstück (reiches Frühstücksbüffet!) mit Meister Uli, der vom bevorstehenden Rücktritt von Engholm berichtet, Matthée sieht einen mangelnden Freiraum für Politiker. Wir sehen den eigentlich für abends vorgesehenen Film über Bismarck „Der Weg zum Nationstaat" von Hagen Schulz - sehr gut zusammengestellt. Weiter zwei Karikaturenfilme über Bismarck und die Reichsfeinde 1849 - 92: Dänen, Polen, bayrische Patriotenpartei, Elsass-Lothringen Partei, Welfen, katholisches Zentrum (Windhorst), wirklich viele! Reptilienfonds gegen Reichsfeinde, in der Innenpolitik ist Bismarck gescheitert - in der Außenpolitik „schiebt er die fünf Kugeln mit diplomatischem Geschick": Italien, Österreich, Rußland, Frankreich und Deutschland. Fahrt zur Plattenburg, wo um 10 Uhr das Seminar beginnt.

„Der preußische Heeres- und Verfassungskonflikt 1861 - 65 unter besonderer Berücksichtigung der Parteienbildung", so der erste Vortrag von Magister Bobke aus Berlin. Die Gliederungspunkte sind: 1. Industrielle Revolution - Heereskonflikt - Liberale zwischen Konfrontation und Kooperation. Ziele: Rechts und Verfassungsstaat, Nationalstaat - nach 1848 Nachdenken über das Scheitern - Realpolitik! Standortbestimmungen. 2. Notwendigkeit der Vergrößerung des Heeres (200.000 Mann, weniger als Frankreich), Landwehr unzureichend. Reform Roons (Wehrgesetz von 1814). Bismarck aus Paris zurück - Treffen mit Kaiser Wilhelm in Babelsberg - nach Scheitern des innenpolitischen Weges über die Außenpolitik. 3. Umbildung des Parteiengefüges. 4. Gibt es einen Sieger? Liberale - 1864/66 kein Krieg, sondern Bundesexekutionen!

Es folgt der Mittagsimbiß mit Broten und Tee und Kaffee. Von 13:30 Uhr an wandern wir eine Stunde mit Fahnen: roter Adler mit Zeichen des Erzkämmerers und schwarzer Adler (aus Apulien bis Ostpreußen geflogen), die Peter Kröger Junior trägt, entlang der Karthane und durch den Wald - an den Seen brüten die Wasservögel, dort marschiert Friedrich (Ehemann der Autorin) ganz solo!

In den oberen Räumen 15:30 Uhr zweiter Vortrag von Professor Grieser: „Bismarcks Weg zum kleindeutschen Nationalstaat - Bismarcks Bündnissystem". Dazu Fragen wie: Wie geht man mit den Russen um? Wie könnte man Verträge mit den Russen machen?

1. Krimkrieg 1854 - 56: Vorherrschender deutscher Einfluß (Militär, Verwaltung, Bankwesen) - durch den Krimkrieg verlor Rußland, bis dahin Hegemonialmacht, an Einfluß - Österreich könnte sich auf dem Balkan ausbreiten. (Vergleiche Bismarckzeit und heute!) Bismarck wollte sich Rußland nicht zum Feind machen.

2. Gibt es Gelegenheiten der Gefälligkeit - Alvenslebensche Konvention 1863. Polnische Erhebung: Frankreich, England, Rußland gegen Polen. Zar Alexander II. verlangte Preußens Hilfe in österreichischen Spannungen, Frage der Verbrüderung der Russen mit den Polen.

3. Sind die Russen treue Bundesgenossen? Krieg in Sicht 1866 - 71. Nur mit russischer Hilfe - Dankesschuld des Kaisers. Nach 1875 Frage „Krieg in Sicht", der Zar mit Minister in Berlin 1874.

4. 1887/88 Rückversicherung. Wie könnte so ein Vertrag aussehen? „Geheime" Rückversicherung - die öffentliche Meinung in Rußland gegen Deutschland zur Rückversicherung: ganz geheimes Zusatzprotokoll - „der Zar wollte den Schlüssel seines Reiches in der Hand behalten", Mittel ein Draht nach Petersburg. Rapallo und Vertrag 1990!

Diskussion: auf moralische Werte kein Gewicht legen! Nach dem 2. Weltkrieg haben die Russen sich maßvoll verhalten! Ostpolen zurück an Rußland - Ostpreußen ohne Berechtigung an Polen! (Grieser sehr rußlandfreundlich)

Volker Frobarth hält den dritten Vortrag: „Soziale Frage und Kulturkampf im Ringen um den parlamentarischen Parteienstaat". Polnische Frage in Preußen: polnische Teilung, 1805 leben 2,5 Millionen Polen in Preußen. Seit 1871 die Polen preußische Untertanen, Wachsen der Nationalität. Verbände gegen Polen. Alldeutscher Verband - Ostmarkenverein. Reichsfeinde: Katholiken, Welfen u.a., Sprachen- und Kulturkampfpolitik: Vatikanisches Konzil - 1879 endete der Kulturkampf mit dem Tod Papst Pius IX., Sprachen an polnischen Schulen deutsch, Schulstreiks. 1885 sind 32.000 Polen ausgewiesen (aus Kongreßpolen). Die Rechtsidee Preußens kam ins Wanken: Westwanderung der Deutschen - die Polen vermehren sich, Ostprovinzen mit vielen Polen. Im Ermland brach der Kulturkampf aus, im Zusammenhang mit der polnischen Frage.

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