4 Die Denkmale
4.1 Todtenhausen
Die sog. Schlacht bei Minden fand am 1. August 1759 im Siebenjährigen Krieg statt. In diesem Krieg hatten die mit Preußen verbündeten Briten den Schutz gegenüber Frankreich übernommen, während Preußen selbst vor allem gegen Österreich und Russland kämpfte. Im Sommer rückten die Franzosen aus Richtung Kassel und Düsseldorf gegen die britischen Stammlande Hannover vor. Sie hatten bereits am 10. Juli die Festung Minden besetzt. Ferdinand von Braunschweig wollte den Franzosen eine Schlacht liefern.

Die hannoversche Kavallerie war noch nicht kampfbereit und blieb in Stellung. Weil die Befehlssprache Französisch (!) war, kam es zu einem Missverständnis; die britisch-hannoversche Infanterie rückte vor. Sie traf auf französische Kavallerie. Die Briten, die in schwerem Artilleriefeuer vorgingen, zeichneten sich besonders aus und vertrieben die Franzosen. Dies ist einer der wenigen Fälle in der Kriegsgeschichte, in denen die Infanterie die Kavallerie angriff.

An der Nordflanke, bei Todtenhausen, griffen die Franzosen mit Infanterie an, wurden aber aufgehalten und von der preußisch-hessischen Kavallerie unter Prinz Holstein zurück geschlagen. Die Franzosen mussten Minden wieder aufgeben. Den Briten war gelungen, die Franzosen von den hannoverschen Stammlanden ihres Herrschers Georg II. fern zu halten.

Weil die Briten im selben Jahr die Franzosen auch bei Quebec in Kanada schlugen, ging 1759 als "Glorious Year" in die britische Militärgeschichte ein. Ihnen war gelungen, die Franzosen aus Nordamerika zu vertreiben und zugleich in Europa das Gleichgewicht der Kräfte zu halten. Damit hatten sie einen wichtigen Grundstein für ihr Empire gelegt. Noch heute feiern einige britische Regimenter den "Minden Day".

Am Denkmal zur Erinnerung an die Schlacht im Siebenjähriger Krieg gibt es folgende Inschriften: Westseite: "Dem Andenken des von den vereinigten Truppen: Preußens, Englands, Hannovers, Hessens, Braunschweigs und Schaumburgs unter der Führung Ferdinands, Herzog von Braunschweig, am 1. August 1759 bei Minden erfochtenen Sieges über die französische Armee. Die dankbaren Nachkommen der verbündeten Krieger - am 1. August 1859"; Südseite: "Dem Sieger - Gohfeld am 1. August 1759 - Erbprinzen Carl Wilhelm Ferdinand von Braunschweig."; Nordseite: "Dem Verteidiger der Linien bei Todtenhausen am 1. August 1759 Grafen Wilhelm zu Schaumburg Lippe."

Aus Anlass der Jahrhundertfeier wurde 1859 das Denkmal geweiht. Der 1. August 1959 wurde besonders festlich begangen. Während der Franzosenzeit wurden die Leibeigenschaft und die Zehntpflicht aufgehoben. Als jedoch andere Abgaben eingeführt wurden, kam es zu einem Bauernaufstand in Todtenhausen. Nach 1815, als Preußen wieder herrschte, musste der Zehnte nachgezahlt werden, was zu großer Verarmung führte. 57

4.2 Porta Westfalica
Die Stadt mit dem lateinischen Namen für "Tür zu Westfalen" hat eines von mehr als einst 1.000 Kaiser-Wilhelm-Denkmälern, 276 Meter hoch auf dem Wittekindsberg, mit Blick über die Weser. Weil auch in Preußen Denkmäler in der Regel nicht zu Lebzeiten der Monarchen errichtet wurden, sind fast alle diese Denkmäler Wilhelm I. gewidmet. Sie wurden ab 1867 und insbes. zwischen 1888 und 1918 im deutschsprachigen Raum aufgestellt. Das Preußische Denkmal-Institut e.V. weist 63 Reiterstandbilder, 231 Standbilder, 5 Sitzstatuen und 126 Büsten auf.
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Die Initiativen gingen meist von Privatpersonen aus. Ein Denkmal-Komitee finanzierte, plante und enthüllte das Werk und löste sich danach wieder auf. Zusammen mit dem Kyffhäuser-Denkmal von 1896 und dem Denkmal am Deutschen Eck in Koblenz von 1897 zählt Porta Westfalica zu den drei bedeutendsten Gedenkstätten für Wilhelm I. Alle drei Denkmäler wurden vom Berliner Architekten Bruno Schmitz konzipiert.

Die hiesige Statue wurde vom Wiener Bildhauer Kaspar von Zumbusch geschaffen. 1892 wurde mit dem Bau begonnen, 1896 wurde er in einer Feier von Kaiser Wilhelm II. und Kaiserin Auguste Victoria eingeweiht, an der zwischen 15.000 und 20.000 Bürger teilnahmen. 58

Das Bauwerk ist 88 Meter, der Baldachin 51 Meter und die Kaiserstatue 7 Meter hoch. Die Baukosten betrugen 833.000 Goldmark. Der Porta-Sandstein wurde unmittelbar am Wittekindsberg abgebaut.

5 Die Klöster
5.1 Die Zisterzienser
Loccum und Amelungsborn wurden von den Mönchen der Zisterzienser gegründet. Prof. Matthée hielt uns schon auf dem Weg eine seiner berühmten Vorlesungen zu diesem bedeutenden Orden im Abendland. Der Name leitet sich vom lateinischen "cis tercium millennium lapidem" ab, also "diesseits des dritten Meilensteins" und bezeichnet die Lage des Urklosters Cîteaux bei Dijon in Burgund. Wie bei den älteren Benediktinern galten als oberste Regeln Armut, Keuschheit und Gehorsam. Abt Bernhard von Clairvaux (rechts im Foto Statue am sog. Levitenstuhl im Kloster Amelungsborn) stellte die Verehrung des leidenden Christi in die Mitte seiner Theologie. Die Zisterzienser verstanden ihr Leben in seiner klösterlichen Härte als Nachfolge des leidenden Jesus.

Der Orden machte sich zur Hauptaufgabe, Kulturland fruchtbar zu machen. Alle Neugründungen von Klöstern sollten "in locis a conversatione hominum semotis", an entlegenen Orten, fern vom Verkehr mit Menschen, errichtet werden. So wollte man einem neuen klösterlichen Ideal dienen, nämlich harte Askese in Abgeschiedenheit, verbunden mit schwerer körperlicher Arbeit.
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Jedes Kloster sollte mindestens zwei Mal einen Tochter-Konvent ausgründen, d. h. "zwölf Mönche, mit dem Abt dreizehn, sollen zu einem neuen Kloster entsandt werden". Der Abt ist der Gesamtleiter, der Prior sozusagen der "Spieß" für den Innendienst. Diese Konvente sollten der Front der Kreuzritter gegen die Mauren in Hispanien und die Slawen östlich der Elbe folgen. So bildeten die Klöster Filiationsketten: Von Cîteaux - Morimond - Kamp am Niederrhein - Amelungsborn - Volkenroda im Harz - Loccum. Morimond liegt auch in Burgund und wurde von Bernhard von Chatillon nach "morire dans le monde" - "sterben in der Welt" benannt. 59

Die Mönche lebten von der Landwirtschaft und, wo möglich, von Weinbau und Bergbau. Für diese Arbeiten wurden in den Grangien Konversen, also Halbbrüder, eingesetzt. Diese wurden unterstützt von den Familiaren, den Minderbrüdern. Fischteiche finden sich bei nahezu jedem Zisterzienserkloster. Das Generalkapitel in Cîteaux hatte beschlossen, allen im Kloster den Genuss von Fleisch und Fett zu verbieten, mit Ausnahme von Schwerkranken und auswärtigen Handwerkern.

In den Städten breiteten sich dagegen die Bettelorden der Franziskaner und Dominikaner aus. Sie waren eine Konkurrenz um die Mönche. So verlor der Zisterzienserorden, inzwischen reich geworden, an spiritueller Kraft. In seiner Blütezeit Ende des 12. Jh. hatte der Zisterzienser-Orden 1.500 Männer- und Frauenklöster in Europa.

Wichtigster Teil des Klosters ist die Kirche. Sie muss turmlos sein und soll einen flach geschlossenen Chor haben, möglichst mit Umgang. Dieser diente bei festlichen Gottesdiensten unter anderem für die in der Kirche statt findenden Prozessionen. Auch sollten genügend Altäre für die Mönche vorhanden sein. Ferner mussten die Laienbrüder sowie die zugehörigen Bauern und Arbeiter aus den Grangien Platz finden. Dazu war der Kirchenraum durch eine hohe Schranke, den Lettner, in der Mitte geteilt. Der östliche Teil mit Chor und Querhaus war allein den Mönchen vorbehalten. Im Westteil stand für die Laien ein eigener Altar vor dem Lettner.

Über die Gestaltung von Kirchen heißt es in Kapitel 20 der Regel von 1134: "Wir verbieten, dass in unseren Kirchen oder in irgendwelchen Räumen des Klosters Bilder und Skulpturen sind, weil man gerade auf solche Dinge seine Aufmerksamkeit lenkt und dadurch häufig den Nutzen seiner guten Meditation beeinträchtigt und die Erziehung zu religiösem Ernst vernachlässigt wird." Dieses strenge Verbot wurde im Lauf der Jahrhunderte immer weniger beachtet. In einer Bauordnung von 1182 steht im 11 Kapitel: "Gemalte Glasfenster sollen binnen einer Frist von zwei Jahren ersetzt werden; andernfalls fasten ab sofort Abt, Prior und Kellermeister jeden sechsten Tag bei Wasser und Brot, bis die Fenster ersetzt sind."

Der Kreuzgang, das Zentrum der Anlage, schloss meist auf der Südseite direkt an die Außenmauer der Kirche an. Um ihn gruppierten sich in strenger Anordnung das Refektorium (der Speisesaal), das Dormitorium (der Schlafsaal), der Kapitelsaal und die anderen Gemeinschaftsräume. Dieser innere Bezirk blieb allein den Mönchen vorbehalten. Die Laienbrüder (Konversen) hatten im Westen der Anlage eigene Räume. Die Häuser des Abtes, des Priors, das Gästehaus und die verschiedenen Wirtschaftsgebäude waren etwas freier platziert. 60

(rechts: Grundriss des Klosters Loccum: 1 = Kirche, 2 = Lesegang, 3 = Johanneskapelle, 4 = Kapitelsaal, 5 = Bibliothek, ehem. Kalefaktorium, 6 = Refektorium, 7 = ehem. Brunnenhaus, 8 = Laienrefektorium, Gebhardt-Saal)

Ein altes Zisterzienserwort lautet: "Stat crux dum volvitur orbis" - " Es steht das Kreuz, während die Welt sich dreht", auch "Das Kreuz steht fest, solange die Erde sich dreht". 61 Noch ein Wort auf den Weg: "Das Maß, Gott zu lieben, ist: Gott maßlos lieben." (Abt Bernhard von Clairvaux) Und: "Porta patet, cor magis", das bedeutet: "Das Tor ist offen, das Herz umso mehr".
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5.2 Loccum
Das Kloster Loccum ist ein ehemaliges Zinsterzienser-Kloster in der Stadt Rehburg-Loccum zwischen Steinhuder Meer und Weser in Niedersachsen. Loccum gilt heute als die (nach Maulbronn) besterhaltene mittelalterliche Klosteranlage nördlich der Alpen.

Das Kloster geht auf eine Stiftung des Grafen Wilbrand von Hallermund zurück und wurde unter Abt Ekkehard 1163 in der moorigen Gegend der längst verfallenen Luccaburg als Filiation von Volkenroda (bei Mühlhausen in Thüringen) errichtet. Das Wasser des Baches Fulde trieb fünf Mühlen auf dem Klosterhof an und speiste Fischteiche. Reiche Schenkungen von Herzog Heinrich dem Löwen und der Gräfin Adelheid von Schaumburg begründeten den Besitz zwischen dem Bremer Gebiet und der Hildesheimer Börde. 62

Als einzige Filiation brachte Loccum das Kloster Reinfeld bei Lübeck hervor, welches Graf Adolf III. von Holstein und Stormarn 1186/89 ansiedelte. Am Vorabend der Reformation besaß Reinfeld 307 (!) Bauernstellen und rangierte damit vor allen schleswig-holsteinischen Klöstern. Jedoch ist vom Kloster nur noch ein Stück Mauer übrig. 63

Der 2. Abt von Loccum, Bertold von der Lippe, nahm übrigens am 2. Livlandkreuzzug teil. In der Blütezeit um 1300 mögen in Loccum 180 Mönche und Laienbrüder gewesen sein. Um 1330 begann eine Agrarkrise, an die Pestwellen anschlossen mit krassem Einwohnerrückgang. Die wirtschaftliche Lage ließ 1422 sogar das Generalkapitel in Cîteaux eingreifen. Im 16. Jh. verbesserte sich die Lage wieder deutlich; das Kloster wurde schnell wohlhabend und unterstand nach dem Privileg von Kaiser Karl V. von 1530 als "Freies Reichskloster" dem direkten Schutz des Reiches und des Papstes.

1483 wurde erstmals ein bürgerlicher Abt gewählt, woraufhin die Adligen das Kloster verließen. Abt und Konvent beschlossen, künftig keine Adligen mehr aufzunehmen. Johannes Fenger (1591 - 96) gilt als erster evangelischer Abt. Das Kloster übernahm das Augsburger Bekenntnis, behielt aber die monastische Tradition bei. Die Äbte nahmen noch einige Zeit an den jährlichen Generalkapiteln (Vollversammlungen) der Zisterzienser teil, bis es ihnen verwehrt wurde. Vier Jahrhunderte dauerte es, bis im Jahr 2000 der Loccumer Abt wieder zum Generalkapitel nach Rom eingeladen wurde.

Die Loccumer Äbte mussten seit 1585 dem welfischen Landesherrn Herzog Julius von Wolfenbüttel einen Huldigungseid leisten. Damit gewann das Kloster seinen Schutz und nannte sich bis 1803 "kaiserlich freies Stift". Der Abt wurde Präsident der Calenberger Landschaft, bis heute. Abt Gerhard Wolter Molanus (1677 - 1722) versuchte, zwischen Gottfried Wilhelm Leibnitz auf evangelisch-lutherischer und dem Bischof Christoph de Rojas y Spinola auf römisch-katholischer Seite zu verhandeln, was scheiterte, aber respektabel war. Abt Georg Ebell (1732 - 70) hat 1750 die "Landschaftliche Brandkasse" initiiert. Kloster Loccum wurde 1924 in die Ev.-luth. Landeskirche Hannover eingegliedert. Abt des Klosters ist seither der jeweilige Landesbischof. Schon im Zuge der Reformation wurde das Kloster evangelisches Predigerseminar. Eine evangelische Akademie mit Tagungsbetrieb und ein Pastoralkolleg sind angeschlossen.
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Die Klosterkirche "St. Maria und Georg", heute Pfarrkirche St. Georg (links), wurde von 1230/40 - 80 als kreuzrippen-gewölbte Pfeilerbasilika errichtet. Die 67 Meter lang gestreckte Basilika wurde im sog. "gebundenen System" gebaut. Der Grundriss wird aus sechs Quadraten von je zehn Metern Seitenlänge gebildet, das erste für den Chor, das zweite für die Vierung und drei für das Langhaus, dem wiederum je zwei Seitenschiffsjoche zugeordnet sind. Der Altarraum wird durch drei gestaffelte Rundbogenfenster beleuchtet. Die gedrungene Proportion (Breite zu Höhe 1 : 2) vermittelt noch ganz einen romanischen Eindruck.

Nach Westen geht der Stil fließend in die Gotik über. Die Rundbogenfenster in Chor und Querhaus setzen sich im Langhaus in paarweise angeordneten Spitzbogenfenstern fort bis zur frühgotischen Blendrose im Westwerk. Aus den romanischen Kelchblockkapitellen entwickeln sich frühgotische Blatt- oder Knospenkapitelle.

Wie alle Zisterzienserkirchen besitzt Loccum statt eines Turmes einen hölzernen Dachreiter über der Vierung, in dem die zwei Glocken hängen.

Wir betraten die Klosterkirche mit ihrem Taufstein im Stil der Weserrenaissance im Westen (Foto rechts). Abt Theodor Stracke hat ihn 1601 gestiftet, weil die Klosterkirche im Jahr zuvor evangelische Pfarrkirche geworden war und nun hier auch Taufen statt fanden. Seine Anweisung lautete: "Erstlich mit einem steinernen Fuesse und darauff einen Baum sehr künstlich außgehauen. Darunter Adam und Eva, da sie Gottes Gebot übertretten, und darum allerlei Creaturen. Darnach auf dem baum die Tauff die zwölf Aposteln, gar artig gehackete und auch allerlei Engelßköppfe, oben um den Rand den Spruche 'Gehet hin in die ganze Welt'".
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Der Laienaltar aus der Zeit um 1500 zeigt oben in der Mitte Maria, die Schutzherrin aller Zisterzienserklöster. Links von ihr stehen der Hl. Bernhard von Clairvaux und der Erzengel Michael, rechts der Evangelist Johannes und der Hl. Georg. In der unteren Reihe in der Mitte die drei Märtyrer Hl. Ursula, Andreas und Erasmus, flankiert von Anna selbdritt links und der Hl. Lucia (?) rechts. Die Flügel kamen nach der Reformation hinzu.

Die Mondsichel-Madonna aus der zweiten Hälfte des 15. Jh. trägt das Christuskind und wird ganz von einem Strahlenkranz eingerahmt. Sie vergegenwärtigte den Mönchen und Pilgern vor der Kirche die heilende Kraft Christi für ihre Krankheiten und anderen Nöte.

Der spätgotische Marienaltar (oben im Bild) ist aus Fragmenten zusammen gesetzt. Marienfigur und Flügel sind im 19. Jh. hinzu gefügt worden. Das Gruppenbild im unteren Teil ist aus einem Stück geschnitzt und zeigt Papst, Kardinal und andere Geistliche einerseits sowie Kaiser und weltliche Vertreter andererseits versammelt um eine lesende Nonne. 64

Im "Lesegang" an der Außenwand der Kirche finden wir einen Konsolenstein mit einem Adler, der sein Junges in den Fängen trägt. Vom Kreuzgang (um 1300) aus erreichten wir die einst für die Buße der Mönche dienende Johanniskapelle in der vormaligen Sakristei. Daneben liegt der Kapitelsaal, 3-schiffig und 3-jochig, mit reich ausgemalten Gewölben, der als Winterkirche und für Konzerte und Festlichkeiten genutzt wird. Um die Ecke folgt das einstige Kalefaktorium (Wärmeraum), heute mit der Klosterbibliothek, und daneben das Mönchsrefektorium (von 1593 - 96). An der Westseite steht das große barocke Konventsgebäude. Der Gebhardtsaal darin war gerade eingerüstet. Zwischen 1886 - 91 malte der Düsseldorfer Eduard von Gebhardt einen Freskenzyklus mit Szenen, die den Bitten des Vaterunsers zugeordnet sind. Neben dem Torhaus steht die Frauenkapelle, 1277 geweiht. 65
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5.3 Corvey
Der leicht fremd anmutende Name des Klosters stammt aus Frankreich, aus Corbie an der Somme, von wo aus Benediktiner-Mönche zur Missionierung Sachsens auszogen und im Jahr 815 ankamen. Ein Jahr nach der Verlegung an die Weser bei Höxter (villa huxori) verlieh König Ludwig der Fromme dem Kloster die Immunität. Drei Jahre darauf wurde es selbständig und erhielt die Reliquien des Hl. Stephanus. Der Mönch Ansgar (831 Erzbischof von Hamburg und 865 gestorben) leitete die Corveyer Klosterschule. Das Kloster entwickelte sich zu einem geistigen und kulturellen Zentrum im Sachsenland.

Nach der Regel des Hl. Benedikt von Nursia (gestorben 480), Kapitel 66: "Das Kloster soll so angelegt sein, dass sich alles Notwendige innerhalb der Klostermauern befindet, nämlich Wasser, Mühle, Garten und die verschiedenen Werkstätten, in denen gearbeitet wird. So brauchen die Mönche nicht draußen herum zu laufen, was ihren Seelen ja durchaus nicht zuträglich wäre." So wurde auch hier gebaut.

834 erhielt Corvey das Münz- und Marktprivileg von Kaiser Ludwig dem Frommen. Zwei Jahre darauf gelangten die Gebeine des Hl. Vitus von St. Denis bei Paris nach Corvey. Das Armreliquiar ist jetzt in Prag im Veitsdom. Der erste Kirchbau wurde 844 fertig. 916 zählte der Konvent 65 Mönche.

Imposant und mächtig grüßt noch heute das Westwerk (Foto oben links), das von 873 bis 885 errichtet wurde, wovon die lateinische Inschrift zeugt. Ins Deutsche übersetzt bedeutet sie: "O Herr, behüte diese Stadt und lass die Engel dein die Hüter dieser Mauern sein." Karolingisch sind die unteren Geschosse aus flach geschichteten Steinen mit spärlichen Fenstern. Die seitlichen Türme haben nur schmale Sehschlitze. Das Erdgeschoss öffnet sich zu einer kryptenartigen Halle mit vier mittleren Säulen, von einem Pfeilerring umgeben. Insgesamt fünf Schiffe mit je drei Jochen bilden den Raum. Oberhalb liegt der zweigeschossige sog. Johannis-Chor, die Kaiser- oder Königskirche. Für die karolingische Zeit umfangreiche Malereien schmücken die Wände, wie der Homersche Kampf des Odysseus. - Prof. Matthée nützte den Saal, um uns einen Vortrag zur fränkischen Reichsgeschichte zu halten (Foto rechts).

23 Herrscherbesuche sind bis 1145 nachweisbar; auch Konrad III. und wahrscheinlich Friedrich II. Barbarossa weilten hier. Unter Abt Wibald (1146 - 1158) erlebte Corvey seine geistige und wirtschaftliche Blüte. Doch im Spätmittelalter verfiel das Kloster allmählich.

Im 13. Jh. stiegen die Äbte zu Reichsfürsten auf und bekamen die eigene Landeshoheit über die umliegenden Güter. Nach dem Eintritt in die Bursfelder Kongregation, einer monastischen Reformbewegung, blieben die Abtei und die meisten Dörfer um Höxter katholisch. Das Ziel dieser Kongregation war, die Ordensregel des Hl. Benedikt in alter Strenge und Reinheit wieder her zu stellen. Ihr schlossen sich etwa 180 Klöster an. 66

Die Abtei wurde im Dreißigjährigen Krieg mehrfach verwüstet. 1665 wurde die karolingische Kirche  bgebrochen und durch das heutige barocke Langhaus ersetzt. Die damals geplante barocke Fassade am Westwerk wurde nicht verwirklicht. Der einschiffige Kirchenraum wurde 1674 fertig. Er wirkt im Unterschied zum schweren und düsteren Westwerk weit und licht und ist ein bemerkenswertes Beispiel der Barockgotik. Der Hochaltar zeigt die Statuen der Hauptpatrone Stephanus und Vitus. Der Kanzel gegenüber steht ein Weihemal mit dem Standbild des Hl. Vitus (Foto rechts). Er wird umstrichen von einem Fuß leckenden Löwen, in der rechten Hand ein Buch mit dem zum Adler umgewandelten Hahn, den man ihm  opferte, und in der linken einen Palmenzweig als Symbol des Martyriums. An der Rückwand zum Westwerk ragt der imposante Prospekt mit der Orgel von 1681 auf. Sie hat 32 Register und ist eine der wenigen mit einer Springlade.

1793 wurde die Fürstabtei Corvey zum Bistum erhoben, zehn Jahre später aber säkularisiert und 1821 in das Bistum Paderborn eingegliedert. Das kostbare Geläut mit Glocken von 1584, 1683, 1782 und dem 20. Jh. erinnert an die wechselvolle Zeit. Die Kirche blieb Pfarrkirche bis heute.

Auf dem Friedhof rechts der Kirche liegt das Grab von Heinrich Hoffmann von Fallersleben (1798 - 1874), des Dichters des Deutschlandliedes, und seiner Frau Ida. 67

Links an Westwerk und Langhaus ist die breite barocke Schlossanlage angebaut (Bild rechts König Ludwig der Deutsche mit dem Kirchenmodell). Die zahlreichen Säle bieten viel Platz für Ausstellungen und die Musikwochen, vor allem im Kaisersaal. Als Schloss Corvey 1820 an Landgraf Viktor Amadeus von Hessen-Rotenburg übergeben wurde, brachte dieser seine aus 36.000 Bänden bestehende Hofbibliothek mit. Die barocke Buchkunst aus zweieinhalb Jahrhunderten besteht entsprechend dem Zeitgeschmack inhaltlich aus französischen Werken, schöngeistiger Literatur ebenso wie topografischen, architektonischen und naturwissenschaftlichen Büchern. 68 Die Bibliothek füllt eine ganz Zimmerflucht. Schade, dass wir so wenig Zeit zum Besichtigen hatten.
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5.4 Amelungsborn
Schon 1124 erreichten Mönche aus dem Zisterzienser-Kloster Altenkamp am Niederrhein das Gelände am Rand des Hochplateaus westlich vom heutigen Stadtoldendorf, das ihnen Siegfried IV. von Northeim-Boyneburg und Homburg gestiftet hatte. Bereits Ende 1129 bestätigte Papst Honorius II. die Gründung. Es ist damit das älteste Kloster im heutigen Niedersachsen. 69 Die Verbindung zum Mutterkloster Kamp bleib über Jahrhunderte bestehen, indem Tochter und Mutter sich in Notsituationen unterstützten. Mit dem Bau ihrer Kirche und Wohngebäude konstituierten sie ihren Konvent. Nach ihren Ordensregeln war das Kloster am 20. November 1135 funktionsfähig und wurde bezogen. Die Kirche wurde von Bischof Bernhard I. von Hildesheim geweiht.

Zahlreiche Privilegien und Schenkungen mehrten rasch den Wohlstand des Klosters. Neue Konvente wurden ausgeschieden und gingen 1145 nach Riddagshausen bei Braunschweig und 1170 nach Doberan bei Rostock. Ende des 13. Jh. war Amelungsborn - die Quelle, der Born des Amelung, auch Amelunxborn - mit beachtlichen 50 Mönchen und 90 Laienbrüdern besetzt. Amelungsborn wurde das reichste und zugleich mit der ostdeutschen Kolonisation am stärksten verbundene Kloster des welfischen Bereiches. 70

Das Kloster blieb bestehen, als Abt und Konvent 1530 das Augsburger Bekenntnis annahmen. Die Blütezeit endete erst in den Wirren der Glaubenskriege im 16. Jh. 1542 wurde hier erstmalig die Reformation eingeführt und 1568 endgültig unter Herzog Julius von Wolfenbüttel durchgesetzt. Die 1586 gegründete Klosterschule wurde 1760 durch Herzog Carl I. nach Holzminden verlegt. Seit dem Dreißigjährigen Krieg, als hier unter dem Landdrostenregiment des Herzogs Friedrich Ulrich zeitweise eine "Kipper- und Wipper-Münze" betrieben wurde, blieben die wirtschaftlichen Verhältnisse zerrüttet. Der Silbergehalt der Münzen wurde damals auf bis zu 1/16 gestreckt.
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Zu Beginn des 19. Jh. war das Kloster in einem desolaten Zustand. 1810 endete der klösterliche Zusammenhalt. Das an der Nordseite der Kirche angebaute Paradies, eine Gerichtsstätte, diente als Molkerei und wurde um 1840 abgebrochen. 1818 erwog man, das Langhaus als Schafstall zu gebrauchen. Erst ab 1874 begann man mit der Restaurierung, nachdem jedoch schon etliche Gebäude beseitigt worden waren.

Einen Monat vor dem Ende des 2. Weltkrieges, am 8. April 1945, kam es zu einem schlimmen Unglück, das auf einer Tafel im Kloster erzählt wird: Eine amerikanische Einheit stieß morgens auf Stadtoldendorf, eine andere über Bevern vor. Auf dem Klostergut war ein Verpflegungsdepot der Reichsregierung an die Bevölkerung frei gegeben worden. Auf dem Gelände hielten sich etwa 20 - 30 Soldaten der Waffen-SS und eine Handvoll Jungen mit einem Unteroffizier auf. Sie versuchten, mit leichten Waffen Widerstand zu leisten.

Die Angreifer vermuteten größeren Widerstand. Sie ließen Bombenangriffe fliegen und nahmen das Kloster unter heftigen Beschuss. Häuser und Ställe gingen in Flammen auf. Die Kirche wurde wie nie in ihrer Geschichte schwer beschädigt. Im romanischen Langhaus hatte ein Bombentreffer die sechs Bögen der südlichen Stützenreihe und die Südwand weg gerissen. Dach, Decke und Obergaden hatten Kanzel, Altar und Kirchenbänke unter sich begraben. Im gotischen Chor drohte ein schwer getroffener Vierungspfeiler umzustürzen. Durch die Explosionen wurden sämtliche Fenster, insbes. die wertvollen, mittelalterlichen Glasmalereien im Ostfenster, vernichtet. - Und trotzdem: Ein erster Lichtblick war ein Haufen Bauholz, den die Amerikaner zur Abstützung des gebrochenen Vierungspfeilers zur Verfügung stellten. 71 - Erst 1954 konnte mit Maßnahmen zum Wiederaufbau begonnen werden, die 1959 im Wesentlichen abgeschlossen waren.

1960 wurde Amelungsborn wieder Kloster. Mit Christhard Mahrenholz wurde ein neuer Abt installiert. Er berief einen Konvent und gründete die Laienbruderschaft der Familiaritas. Zentrum des gemeinsamen Lebens sind seither die vier Stundengebete (Mette, Mittagsgebet, Vesper und Komplet). Bibel, Gespräche und Vorträge zu einem Jahresthema sowie Zeiten der Stille prägen den Alltag. Von den acht Konventualen ist einer Jurist und die übrigen sind Theologen.

Die Glieder der klösterlichen Familie verpflichten sich bei ihrer Einführung:
  • täglich ein Wort der Heiligen Schrift zu bedenken
  • Gott im Gebet zu danken und ihn um Führung durch den Tag zu bitten
  • die den Christen aufgetragene Fürbitte füreinander wie für Kirche und Welt zu üben
  • der Kirche mit ihrer Berufserfahrung zur Verfügung zu stehen, auch bei Tagungen von Gruppen im Kloster. 72

Amelungsborn rühmt sich neben Loccum als einziges Männerkloster auf deutschem Boden mit einer ununterbrochenen Tradition. Es entging der Auflösung durch den Reichsdeputationshauptschluss 1803 und blieb im Amt des Abtes als Ehrentitel für hohe braunschweigische Geistliche repräsentiert.

Die Klosterkirche in Amelungsborn folgt dem basilikalen Bauschema, d. h. sie hat ein stark überhöhtes Mittelschiff, das durch eigene Fenster Licht in den Kirchenraum einfallen lässt. Nach Osten schließen ein kurzes Querhaus und ein ebenfalls basilikaler Chor mit geradem Schluss um 1350 an. Das Langhaus mit seiner Flachdecke in allen drei Schiffen und dem Stützenwechsel (1 Pfeiler und 1 Säule folgen aufeinander) ist der älteste Bauteil und noch aus der Gründungszeit um 1150. Auch der untere Teil des Querhauses ist so alt. Zwei Jahrhunderte später entschloss man sich zu einem gotischen Umbau, bei dem der hohe Chor errichtet und das Querhaus aufgestockt wurde.

Plastischen Bauschmuck finden wir zuerst in den Schlusssteinen. In der Vierung zeigt das Lamm Gottes das liturgische Zentrum an. Im Chor sind Schlusssteine mit dem Kopf Christi und Mariens. Die Kapitell-Bänder der polygonalen Chorstützen zeigen Friese mit Drachen, teilweise mit Menschenköpfen, oder mit Adam und Eva unter dem Baum der Erkenntnis. Vom einst größten mittelalterlichen Glasmalereizyklus Niedersachsens sind nur wenige Reste in drei Fenstern des nördlichen Seitenschiffs erhalten.

Der sog. Levitenstuhl oder Dreisitz steht zwischen den mittleren Chorpfeilern auf der Südseite. Er diente dem Priester, der die Messe las, und seinen beiden Diakonen. Drei einfache Sitze sind in einem prächtigen gotischen Steinaufbau mit Maßwerk, Wimpergen und Tabernakel-Fialen einbezogen. Links steht die Figur des Hl. Bernhard von Clairvaux, des geistigen Begründers der Zisterzienser mit Buch und Bischofsstab, gekleidet in eine schlichte Mönchskutte. Die Rückseite (Foto rechts) zieren drei extrem flache Reliefs: In der Mitte ein Maßwerkaufbau mit Fialen und dazwischen ein bärtiger Kopf mit Judenhut und ein gekrönter Frauenkopf, die Synagoge und Ecclesia darstellen, die Juden- und die Christenkirche.
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Ein sehr qualitätsvoller Taufstein (links) der Weserrenaissance erhebt sich in leichten und eleganten Formen über einem oktogonalen Sockel. Er ist reich mit Blatt- und Rollwerk besetzt und zeigt die Jahreszahl 1592. Oben ist u.a. das Wappen der Zisterzienser angebracht, ein Schrägbalken mit Schachbrettmuster, gekreuzt mit einem Abtsstab. Der Taufstein war notwendig geworden, als 1568 die Klosterkirche zugleich Pfarrkirche für die Gemeinde Negenborn und Holenburg geworden war, was sie noch heute ist.

An der Ostwand sind zwei romanische Piscinen angebracht. Es sind Unterteile von  Ausgussbecken für das Wasser bei Handwaschungen und vom Ausspülen des Kelchs. Im westlichen Joch der Südseite finden wir das Grabmal des Grafen Hermann von Everstein (gestorben 1350, im Bild unten rechts vorn) und seiner Gemahlin Adelheid zur Lippe. Die Frau hält die Hände betend vor der Brust; der Mann trägt sein Schwert vorn und den Schild mit Wappen seitlich. Unter ihren Füßen schaut sich ein Hundepaar, unter seinen ein Löwenpaar an.

Von den Klosterbauten finden wir nur noch die Rückwand des Kreuzgangs, mit der die Konversengasse gebildet wurde. Ein sehr altes Gebäude an der Südwestecke wird der "Stein" genannt, das als "Alte Abtei" genannt wurde. Es ist ein Fachwerkgebäude, das in der Barockzeit von drei Seiten mit Bruchsteinmauerwerk ummantelt wurde. 73 Heute beherbergt es die Klosterbibliothek sowie Tagungsräume, die Küche und Gästezimmer.

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