3.6 Nördliche Mitte: Beira (Litoral, Alta und Baixa)
3.6.1 Coimbra
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Amphitheatralisch breitet sich die Stadt über die grünen Hänge der Serra de Lorvão oberhalb des rechten Ufers des Mondego inmitten eines fruchtbaren Agrargebietes aus. Später nahm die als Aeminium gegründete Römerstadt als Bischofssitz den Namen der 468 von den Suben zerstörten nahen Römerstadt Conímbriga an. Sie entfaltete sich unter der Herrschaft der Araber und wurde nach der Reconquista im 12. und 13. Jh. Residenz der Könige. 57

Coimbra war im 12. Jh. die zweite Königstadt, nach Guimarães und vor Lissabon. Nach der Verlegung der Residenz erhielt die Stadt 1307/08 58 eine Universität, die bis 1911 die einzige in Portugal blieb. Heute sind von 90.000 Einwohnern etwa ein Fünftel Studenten. Coimbra liegt geradezu malerisch in einer lieblichen Hügellandschaft am rechten Ufer des Rio Mondego. Von der neueren Unterstadt, in der wir zu Mittag aßen, ziehen sich steile Gassen zur Oberstadt mit der Universität hinauf. 59

Unsere Besichtigung begann an der romanischen Kirche São Tiago, die zwischen Praça do Comercio und der Einkaufsstraße Rua Ferreira bzw. Rua Visconde liegt. An deren Ende, am Praça 8 de Maio, steht die Augustiner-Kirche Santa Cruz mit ihren Azulejos an den Innenwänden. Im Chor stehen die Gräber der ersten portugiesischen Könige. Zurück und vorbei an San Tiago steigen wir hinauf durch das Tor Arco de Almedina, das uns schon orientalisch vorkommt. Dort ist an einem Haus eine Tafel angebracht für Jose Afonso (o Zega), dem Texter von „Grandola", dem Lied der Nelkenrevolution. Wir konnten uns entscheiden zwischen einem kurzen steilen und einem langen flachen Weg, die uns beide zur Kathedrale, der Sé Velha (Bild oben), führten.

Auf dem Platz vor diesem festungsartigen Bau wurde 1385 Dom João (Johann) zum König ausgerufen. Die Kirche wurde im 12. Jh. von Afonso Henriques (Alfons Heinrich) erbaut. Das dreischiffige romanische Innere wirkt beeindruckend. Auf dem Hochaltar werden Szenen der Himmelfahrt Christi dargestellt, geschaffen von flämischen Meistern Olivier von Gent und Johann von Ypern.

Die Universität besteht aus mehreren bombastischen Bauten des 20. Jahrhunderts und dahinter dem beschaulichen früheren Palastareal. Durch die Porta2 Férrea traten wir in den weiten Hof. Von der Terrasse hatten wir einen schönen Blick nach Süden. Davor steht ein Steinstandbild für Johann III.
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Die prunkvoll ausgestattete Bibliothek (Bild links) ist eine der prächtigsten weltweit. Sie wurde mit ihren drei Sälen 1717 nach dem Vorbild der Wiener Hofbibliothek geschaffen, denn die Gemahlin von König Johann V., Anna Maria, stammte aus Österreich. Neben den rund 300.000 Büchern und 3.000 mittelalterlichen Handschriften sind Decken- und Wandgemälde sowie kostbare intarsierte Möbel sehenswert. Bis 1910 wurde die Bibliothek benutzt, heute bekommt man mit Sondergenehmigung Einsicht in die Bände.

Im eigentlichen Universitätsgebäude, über eine Freitreppe erreichbar, versetzte uns der große Saal für Festakte, auch „Sala dos Capelos" - Saal der Doktorhüte (Bild rechts, Aufnahme von 1997) in Erstaunen. Dieser weite Raum war früher Teil des Palastes. An seinen Wänden hängen Gemälde aller portugiesischen Könige. Rund um den Saal befinden sich, etwas erhöht, große durchgehende Bänke, auf denen nur die Doktoren ihren Platz haben, während Gäste und andere Persönlichkeiten etwas niedriger innerhalb der Schranken sitzen.
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Der Rest des Saales steht dem Publikum zur Verfügung. - Wir durften nicht eintreten, aber von der Balustrade hinunter schauen und staunen. Wer nicht dort war, hat wirklich etwas versäumt. Übrigens erhielten hier die deutschen Bundeskanzler Kiesinger und Brandt die Ehrendoktorwürde.

An diesen großen Festsaal schließt sich der „Saal für Privatbesprechungen an. Er ist unten mit Azulejos geschmückt, und darüber hängen in einem Fries Gemälde der früheren Rektoren. Vom Hof aus, neben der Bibliothek, traten wir in die Michaels-Kapelle (Capela de São Miguel) ein. Sie wurde ab 1517 als Schlosskirche an der Stelle eines kleinen Betraums erbaut. Die Wände sind mit Kacheln aus der pombalinischen Zeit geschmückt. In der Hauptapsis steht einer der bedeutendsten Altäre des Landes im manieristischen Stil. 60

Am Gegenufer des Mondego wollten wir nahe der versunkenen Clarissinnen-Kirche die „Quelle der Tränen von Inês de Castro besuchen. In Tränen brach beinahe der junge Kellner des neu eingerichteten ****-Golf-Hotels aus, zu dem der Park jetzt gehört und der uns den Zutritt unerbittlich verbieten musste, weil dies eine Hochzeitsgesellschaft, an der wir uns vorbei geschlichen hatten, so verlangt hatte.

3.6.2 Alcobaça
Die Römer nannten die reizvoll zwischen den Flüsschen Alcoa und Baça gelegene Siedlung Eburóbriga inmitten einer fruchtbaren Obstanbaugegend. Die Zisterzienser-Abtei - einst eines der wohlhabendsten und einflussreichsten Klöster Portugals - zählt zu den wichtigsten Baudenkmalen des Landes. Die Abtei wurde 1985 zum Weltkulturerbe der UNESCO erklärt.
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Im Jahr 1154 übergab Afonso Henriques (Alfons Heinrich), Portugals erster König, seinem Glaubensbruder und Mitstreiter Bernhard von Clairvaux 61 das spätere Klostergebiet, das aus der Hand der Mauren gewonnen worden war. Bernhard hatte ihm bei den langwierigen Verhandlungen mit dem Papst über die Anerkennung des neuen Königreiches treu zur Seite gestanden. In Folge des Zustroms von Ordensbrüdern aus Burgund musste die Anlage schon bald erweitert werden.

Gemäß den Ordensregeln der Zisterzienser beherbergte das Kloster „einen weniger als Tausend", also 999 Ordensbrüder, die Obstgärten und Weinkulturen anlegten. Die Mönche richteten hier bereits im 13. Jh. die erste öffentliche Schule Portugals ein, von der später Impulse für die Universität von Coimbra ausgingen. Der Abt befahl über dreizehn Ortschaften, drei Seehäfen und zwei Schlösser. So bestand in Alcobaça vom 13. bis zum 18. Jh. eines der bedeutendsten Geisteszentren des Landes. 62

Nur wenige Teile des Klosters erinnern an seine Erbauer, burgundische Zisterzienser-Mönche, die 1178 den Grundstein des „Mosteiro de Santa Maria legten. Erhalten blieb das gotische Portal und die Fensterrose. Die Anlage wurde im 17. und 18. Jh. barock umgestaltet. Dank ihrer Schmucklosigkeit und der Klarheit der Linien ist die Klosterkirche ein typisches Beispiel für den zisterziensichen Baugeist. 63

In der 221 m langen Hauptfront des Klosters 64 dominiert die 1725 vorgeblendete Barockfassade mit ihren zwei niedrigen Türmen. Das Innere der frühgotischen Hallenkirche ist von zisterziensischer Klarheit, Strenge und Schlichtheit. Der mit 106 m Länge, 21,5 m Breite und 20 m Höhe größte Kirchenraum Portugals besteht aus drei Schiffen. 24 mächtige Pfeiler tragen zwölf gotische Gewölbe. Den Chor umgibt ein Kranz von neun Kapellen, den Hauptaltar umstehen acht Rundsäulen. Im Querschiff stehen zu beiden Seiten der Vierung die prunkvollen Grabmäler von König Pedro I. (Peter I.) und seiner Geliebten Inês de Castro (rechts im Foto). 65
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Die kostbaren Sarkophage aus weichem Kalkstein entstanden in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts im Flamboyant-Stil.

Der Königssaal am linken Seitenschiff ist mit Azulejos aus der Klostergeschichte verziert. Darüber stehen auf Konsolen Tonplastiken portugiesischer Könige bis Joseph I. 66 Durch den Kreuzgang mit seinem Brunnenhaus gelangt man zum Refektorium mit seiner Lesekanzel, einem der ältesten Räume im Kloster. Die 18 m hohe Küche mit ihren offenen Kaminen ist raumhoch (!) gekachelt. Übrigens hat die Küche fließend Wasser - ein Bach wurde hierher umgeleitet. Über die Treppe gelangten wir in das Dormitorium, den Schlafsaal. Von dort konnten wir durch eine runde Tür in das Querschiff mit den beiden Sarkophagen blicken.

Das Erdbeben von 1755 und napoleonische Truppen verwüsteten einen Großteil der Kunstschätze. Erst 1930 stellte man das Kloster „Real Abadia de Santa Maria de Alcobaça" unter Denkmalschutz.

3.6.3 Batalha
Zum Gedenken an seinen wundersamen Sieg bei Aljubarotta 1385 über den mehrfach überlegenen Feind aus Kastilien ließ König Johann I. ab 1388 das „Kloster der Heiligen Maria vom Siege" errichten. Das Kloster der Schlacht, wie es im Volksmund heute noch heißt, besitzt eine ausgesprochen reich verzierte Fassade und ein Portal, dessen Skulpturenschmuck außergewöhnlich verschwenderisch ausgefallen ist. 67

Das Kloster Batalha ist eine der größten und bedeutendsten Abteien in Portugal und steht seit 1983 als Weltkulturerbe unter dem Schutz der UNESCO.
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Die Kirche war erst 1438 vollendet, die Grabkapellen vor der Chorapsis blieben unvollendet, sie heißen deshalb „Capelas Imperfeitas. Der achteckige Mittelraum in reichstem manuelinischen Stil hat kein Dach. Hier liegt König Eduard mit seiner Gemahlin. An den prächtigen Kreuzgang Johann I., einem Glanzstück portugiesischer Gotik, schließt sich der schlichte Alfons V. an. Der Bauschmuck ist vor allem Diogo Boytaca (gest. um 1525) zu verdanken, der auch im Lissaboner Jerónimos-Kloster gwirkt hat.
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Die Bauten erlitten ähnlich wie Alcobaça Schäden, die ab 1840 sorgfältig restauriert wurden, nachdem das Kloster Nationaldenkmal wurde.

Die Klosterkirche ist ein besonders fein durchgebildetes Beispiel edelsten gotischen Stils. Überaus reizvoll sind die reich mit Skulpturen geschmückte Westfassade (Bild vorige Seite) sowie die lebhaft gegliederte Südseite. Außerordentlich eindrucksvoll ist der 80 m lange und 32,5 m hohe Innenraum der Kirche, der von mächtigen Pfeilern gegliedert und durch hohe bunte Fenster beleuchtet wird (links).

Aus dem südlichen Seitenschiff gingen wir in die Grabkapelle des Stifters (Capela do Fundador). Hier ruhen in der Mitte die Gebeine von König Johann I. und seiner englischen Gemahlin Philippa von Lancaster. In den Nischen der Südseite sind die Gräber von vier Kindern, dabei auch von Heinrich dem Seefahrer. An der Westwand liegt König Alfons V. mit Frau, Johann II. mit Sohn.

3.6.4 Tomar
Portugals größte Klosteranlage, das "Mosteiro de Cristo" in Tomar, wird im Volksmund gewöhnlich nur "O Convento" genannt. 68 Die Christusritterburg steht hoch über dem Rio Nabão und wurde 1983 unter UNESCO-Schutz gestellt.

Der Christusritterorden (Ordem da Cavalharia de Nosso Senhor Jesus Cristo) wurde „zur Verteidigung des Glaubens, zur Bekämpfung der Mauren und zur Vergrößerung der portugiesischen Manarchie" 1319 von König Dionysus (Dinis) gegründet. Bereits seit 1159 war in Tomar der Templerorden ansässig gewesen. 1314 wurde als Nachfolgeorden der Christusritterorden geschaffen, mit den selben Ordensbrüdern, die lediglich auf ihrer Tracht das rote Kreuz veränderten. Über die Kolonial-Erwerbungen wurde der Orden der reichste der Christenheit; er wurde 1789 säkularisiert und 1910 aufgehoben. 69

Von der Burg, die zur Verteidigung der Tejo-Linie im 12. Jh. angelegt wurde, sind noch Mauerreste, der Bergfried und die Rotunde (rechts), erhalten. Dieser mit Zinnen gekrönte Bau wurde der Grabeskirche in Jerusalem als sechzehnseitiger Zentralbau nach empfunden. Innen steht die „Charola", ein achteckiger Mittelraum, sozusagen das Kraftzentrum. Während der Zeit Heinrichs des Seefahrers entstanden der „Claustro da Lavagem - Kreuzgang der Waschungen" und der „Claustro do Cemitério - Friedhofs-Kreuzgang". Unter Manuel I. wurden der kleine „Claustro de Santa Bárbara", die Christusritterkirche mit ihrem hervorragenden manuelinischen äußeren Schmuck 70 und das Neue Kapitelhaus errichtet. Aus der Christuskirche gelangt man in den oberen „Claustro Principal - Hauptkreuzgang" mit zwei Stockwerken. In der Renaissance entstanden auch drei weitere Kreuzgänge „Claustro dos Corvos - Kreuzgang der Raben", „Claustro da Micha - Kreuzgang des Brotes" und „Claustro da Hospedaria - Kreuzgang der Gäste". Haben Sie mit gezählt? Es sind sieben Kreuzgänge! Mit Wasser versorgt wurde die ganze Anlage mit einem Aquädukt, dem „Aqueduto dos Pegões".
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3.6.5 Almourol
Weit im Osten, bei Abrantes, erhebt sich auf einem Felsen im Tejo die elftürmige Templer-Burg Almourol. Sie wurde 1171 auf maurischen Fundamenten zum Schutz gegen die Mauren errichtet. Nach ihrer Restaurierung im 19. Jh. wirkt sie geradezu romantisch verwunschen. - Besonders schön ist die Silhouette der Burg in der Abendsonne, wie sie sich im ruhigen Flusswasser spiegelt. Prof. Matthée erzählte uns von seiner ersten Begegnung mit Portugal vor über 40 Jahren während seiner Studentenzeit, als er mit einem Komilitonen in einem Gummiboot bei strömendem Regen hier seine Flussfahrt aufgeben musste.

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