4.4.7 Kaufmannshäuser
Einige der einst zahlreichen Dielenhäuser stehen noch, in denen früher die Kaufleute wohnten und ihre Waren verkauften. Auf den Speicherböden lagerten ihre Handelsgüter. Mit ihren prächtigen Giebeln wollten die Kaufleute ihr reiches Warenangebot herausstellen.

Besonders augenfällig ist das Haus, übrigens von der Bauweise ein Hausbaumhaus, welches nach Bürgermeister Bertram Wulflam benannt wird (rechts). Selbstbewusst kopierte er Schmuckformen vom Rathaus gegenüber des Alten Marktes. In diesem nachweislich vor 1358 errichteten Gebäude lag übrigens 28 Jahre lang die Stadtkasse - das Ehepaar Wulflam entschied so auch darüber, wofür das Geld verwendet werden sollte. Den mächtigen Treppengiebel aus abwechselnd mit und ohne Glasur gebrannten Steinen stützen polygone Pfeiler mit Kupfer gedeckten Spitzen. Ein Saalgeschoss breitete sich über der hohen Diele aus, die jeder Gast des dortigen Restaurants auf sich wirken lassen darf.
Bildname

Geht man von dort nach links in die Mühlenstraße, kann man sich an den Backsteingiebeln der Häuser 1 und 3 erfreuen. Die Nr. 1 entstand Ende des 13. Jhs., sein geschweifter Pfeilergiebel (über den beiden verputzten unteren Geschossen) gilt als einer der ältesten in der Backsteingotik. Längsgalerien in der Diele und ein Backofen aus dem 17. Jh. blieben im kürzlich umfassend sanierten und heute mit Büros und Wohnungen genutzten Haus erhalten. - Haus Nr. 3 wurde bereits in den 70er Jahren nach historischem Vorbild saniert und zeigt zwei Stockwerke hohe Fenster zu beiden Seiten der Tür.

Zurück oder entlang dem Johanniskloster gehend gelangt man in der Fährstraße 23/24 zum Scheelehaus, in dem sich bis zum First (mit dem linken Nachbarhaus, Foto) ein Vier-Sterne-Hotel befindet. Es ist benannt nach dem hier geborenen Apotheker Carl Wilhelm Scheele, der u.a. den Sauerstoff entdeckte. Nr. 23 wurde im 14. Jh. als Dielenhaus errichtet und im 17. Jh. umgebaut, als sein Nachbarhaus entstand. Die dunkelrot gestrichene Fassade wurde bereits in den 80er Jahren rekonstruiert.
Bildname
Bildname
Gern gezeigt bei Stadtführungen wird auch die nicht ganz so dunkelrote Külpstraße 5 aus dem frühen 14. Jh., an deren Giebel sich Baugeschichte ablesen lässt durch zwei "Fenster" im zweiten Stock, die älteren Fassadenschmuck heraus präpariert zeigen. 71

Ein anderes Haus, eher unauffällig schräg gegenüber der beiden Museen im Katharinenkloster, in der Mönchstraße 38 ist für Besucher komplett begehbar.
Bildname

Hier kann sich jeder mit der typischen Bauweise im Originalbestand sowie Arbeit und Lebensweise der rund 25 Generationen Stralsunder Kaufleute über sieben Jahrhunderte vertraut machen.

Das Museumshaus ist eines der ältesten Wohngebäude der Stadt; es wurde um 1320 als Krämerhaus errichtet. Das Dach gehört sogar noch zu einem älteren Vorgängerbau aus Holz oder Fachwerk! Die beiden Vorbauten, auf Niederdeutsch Utluchten genannt, sind aus dem 18. Jh. Beide Läden darin sind vermietet: links Lebensmittel, rechts Spielzeug.

Stralsunds Ehrenbürger Gottfried Kiesow wurde hier von Dr. Krüger, der selbst in dieser Straße gelebt hatte, begrüßt. Sein Museum wird gut angenommen. In die Instandsetzung des Hauses sind über 3 Mio. DM geflossen. Solche Häuser seien sonst Schandflecke. Der Geehrte lobt, hier sei "vorbildlichst gearbeitet worden, auch mit modernster Elektronik". Kiesows Sorge zum Konzept war, dieses Haus würde als nicht fertig bemängelt. Eine außerordentlich tüchtige Architektin aus Lübeck leitete die Handwerker an, welche am liebsten alles ausgetauscht und perfekt gemacht hätten. Ein Handwerker schafft 1 m² am Tag, ein Restaurator 1 cm².

Zu Beginn wird den Besuchern des Museumshauses ein gut viertelstündiger Videofilm gezeigt, wie mühsam die Wiederherstellung und statische Sicherung war. Bis 1979 wohnten hier vier Familien fast menschenunwürdig, danach stand das Haus leer. Die Erbengemeinschaft schenkte (Kiesow: "Wir kaufen nicht, wir lassen uns nur schenken") es der Deutschen Stiftung Denkmalschutz, die es von 1996 - 99 behutsam sanierte, um es dem Kulturhistorischen Museum als "größtes Ausstellungsstück" zu übergeben.

Danach heißt es Kopf einziehen und in den Keller hinab steigen (Bild rechts). Kein Gewölbe, wie der Steinfußboden der Halle vermuten lässt, sondern eine Balkendecke lastet auf hölzernen Ständern und aufgemauerten Sockeln.

Im ersten Stock überkam mich ein etwas flaues Gefühl in der "Schwarzen Küche". Hier stand verlassen ein Holzkohleherd, die Wände waren mit grüner Ölfarbe bestrichen, die aber von einer dicken Schicht Ruß bedeckt war, auch von der Decke hingen Frasen. Wer fühlt sich hier nicht in das Haus seiner Eltern oder noch mehr Großeltern zurück versetzt?
Bildname
Bildname
Wohnlich dagegen wirkte die Küche in der anderen Wohneinheit gegenüber, die offenbar erst soeben von ihren Mietern kurzzeitig verlassen wurde. Alles da - Tisch mit ausziehbarer Spüle, harte Stühle, Küchenbüffet komplett mit Geschirr und Besteck, Kohleherd mit Pfannen, wie früher (Foto links). Von dort geht ein Blick ins Schlafzimmer mit seinen dicken Federbetten, Kommode, Waschschüssel und dem (unvermeidlichen) Nachttopf. Im Kontor, der sog. Hübschen Stube von 1680, mit in die Wandpaneele eingelassenem Bücherschrank und klappbarer Schreibfläche, hängen die ovalen Porträts eines Kaufleute-Ehepaars.

Was uns wiederum irritiert, sind die vielen Schichten von Tapeten, die zum Teil noch an ihren Wänden, aber auch auf Klapptafeln präpariert sind. Zwischen den Schichten wurde damals Zeitungspapier geklebt. So können wir heute über hundert Jahre alte Inserate Stralsunder Händler lesen. Etliche kleine Fundstücke, aus Ritzen und unter Fußbodendielen wieder ans Licht geholt, füllen Vitrinen.

Steile Treppen führen jetzt in die vier Speichergeschosse bis in den Spitzboden. Hier dreht es sich noch - das Aufzugsrad aus gotischer Zeit (eines der ältesten in Nordeuropa), mit einem frischen dicken Zugseil aus Hanf belegt, mit dem das Lastenseil auf die Welle gewickelt werden konnte, um Säcke und Fässer nach oben zu hieven. Auch bei der Restaurierung wurde mit dem originalen Rad gearbeitet.
Bildname

Alle Umbauten und Spuren der Abnutzung und Alterung wurden beibehalten, so dass jeder die vielschichtige Lebensweise des Krämerhauses nachvollziehen kann. Nur schadhafte Teile wurden behutsam repariert, zerstörte ergänzt; Fenster, Türen, Luken, Klappen und Riegel, sogar drehbare Lichtschalter sind wieder gangbar gemacht. 72 Ohne Sentimentalität und ohne Wertung, ob es früher besser oder schlechter, primitiver oder romantischer, arbeitsreicher oder gemütlicher zuging, regt das Museumshaus an, über die eigene Zeit zu reflektieren. 73

4.5 Greifswald
4.5.1 Stadtgeschichte 74  
Fürst Jaromar I. von Rügen, 1168 vom Dänenkönig Waldemar I. besiegt und getauft, regierte auch über einen Teil des Festlandes. Hier siedelten die westslawischen Ranen und Zirzipanen (bedeutet beiderseits der Peene). Bis zum 12. Jh. lief der Tauschhandel von Wiek zu Wiek (= Bucht, Hafen, Handelsplatz). Die christianisierten Herzöge von Pommern und Äbte aus dem nahen Kloster Eldena (siehe Kapitel 5.2) luden seit 1209 Siedler aus der Altmark, Westfalen und vom Niederrhein ein.
Bildname

Fürst Wizlaw I. von Rügen und Herzog Wartislaw I. von Pommern-Demmin genehmigten: 1241 durften die Mönche auf einer von Sümpfen umgebenen, sandigen Hochfläche am Tal des Flusses Ryck einen Markt einrichten. Die weitgehend deutsche Siedlung erhielt bereits acht Jahre später nach ihrer Übertragung vom Zisterzienserorden als Lehen an Herzog Wartislaw III. das Lübische Stadtrecht - Zölle und Steuern flossen in die Herzogskasse.

Um den rechteckigen Marktplatz wurde ein rechtwinkliges Straßennetz angelegt, östlich die Marienkirche und westlich die Nikolaikirche der Seefahrer begonnen. Handwerker und Ackerbürger gründeten westlich der Marktstadt ihre Neustadt mit der Jakobikirche, die bereits 1264/65 eingemeindet wurde. Eine Befestigung auf halbrundem Grundriss umschloss das Stadtgebiet bis an den Ryck. Diese Anlage wurde mit einer hohen Stadtmauer mit vorgelegtem doppelten Wall- und Grabensystem bewehrt. Je ein St. Spiritus und St. Georg geweihtes Hospital widmeten sich schon früh der Pflege der Kranken und Armen. 75

Durch den Handel mit landwirtschaftlichen Produkten aus dem Hinterland über See kamen die Bürger bald zu Wohlstand - alles ganz ähnlich wie im benachbarten Stralsund (siehe 4.4.1).

Auf Initiative von Bürgermeister und Kaufmann Heinrich Rubenow wurde 1456 die nach Rostock (siehe Kapitel 4.6.2) zweitälteste Universität Norddeutschlands gegründet. Die Reformation wurde 1531 in Greifswald eingeführt, die Universität einige Jahre später als evangelische Hochschule wieder eröffnet.
Bildname

Kaiserliche Truppen besetzten die Stadt 1627. Die Leidenszeit, geprägt durch Willkür, Kontributionen, Seuchen und Hunger, dauerte bis 1631 - die Schweden nahmen die Stadt kampflos ein. Drei Jahre darauf schenkte der letzte Pommern-Herzog Bogislaw XIV. der Universität die Ländereien des einstigen Klosters Eldena, umgewandelt in ein weltliches Amt. Während des europäischen Kriegs verlor Greifswald mehr als die Hälfte seiner Einwohner, von 6.100 blieben nur noch 2.700 übrig. Auch nach dem Westfälischen Frieden von 1648 wurde durch das Spannungsverhältnis zwischen Brandenburg-Preußen und Schweden Greifswald mehrfach belagert und besetzt.

Eine neue Saline am nördlichen Ryckufer 1745 blieb eineinhalb Jahrhunderte in Betrieb. Die Napoleonischen Kriege wirkten auch in Greifswald, das zeitweilig die Besatzung von Franzosen erdulden musste. Greifswald fiel 1815 mit dem Rest Vorpommerns an Preußen. Segelschifffahrt und -schiffbau erlebten mit der Vertiefung und Erweiterung des Hafens ab Mitte des 19. Jhs. eine letzte Blüte.

1913 wurde Greifswald kreisfreie Stadt, war 1950 - 74 wieder eingekreist, erneut kreisfrei bis 2011, als sie nach gewonnenem Streit Kreisstadt vom neuen Großkreis Vorpommern-Greifswald wurde. Im letzten Weltkrieg blieb die Stadt nach kampfloser Übergabe an die Rote Armee unzerstört. Der Rektor der Hochschule wurde nach 1945 denunziert und von einem Kommunisten ersetzt.

In der nahe gelegenen Lubminer Heide entstand ab 1968 ein Kernkraftwerk, das ein rapides Einwohnerwachstum mit neuen Stadtteilen auslöste. 76 Mit knapp 55.000 Einwohnern ist Greifswald nur wenig kleiner als Stralsund.

4.5.2 Stadt, Markt und Universität
Greifswald wurde ein Opfer der DDR-Baupolitik - durch Flächenabriss und industriellem Ersatzneubau ab 1978, wie Prof. Kiesow es wertet. Sein Bruder studierte hier übrigens. Greifswald lebt heute von der Ernst-Moritz-Arndt-Universität - das beste was einer Stadt passieren kann. - Während unseres Stadtbesuches war die Hauptfassade von 1750, die wie ein Schloss oder Herrenhaus wirkt, komplett eingerüstet. Gegenüber auf dem Rasen steht das Denkmal für den Gründer und Bürgermeister Rubenow, einem bronzierten Zinkguss von F. A. Stüler.

Die Giebelhäuser am Markt sind wieder sorgfältig renoviert, viele Markt-Cafés locken bei Sonnenstrahlen. Markt 11 und 13 mit Treppengiebeln an der Ostseite stammen noch aus gotischer Zeit und zählen zu den schönsten Kaufmannshäusern der Stadt.
Bildname
Üppige Ornamente, glasierte Schmucksteine und Blenden zieren die feingliedrigen Fassaden der Wohnspeicherhäuser (Foto unten, links Marienkirche).

Das Rathaus (einst "Radhus") wird erst seit 1551 so genannt, vorher war es Kaufhaus ("Kophus"). Als solches wurde es erstmalig 1369 genannt. Im Keller ist die zweischiffige Gewölbe-Halle erhalten. Der Volutengiebel stammt aus der Mitte des 18. Jhs.

4.5.3 St.-Marien-Kirche
Der quadratische Turm wirkt im Vergleich zum großflächigen roten Satteldach niedrig und wuchtig. Die Proportionen der echten Hallenkirche mit breitem Mittel- und zwei schmalen Seitenschiffen erinnern an die Deutsch-Ordens-Kirche St. Elisabeth in Marburg, von wo aus die Hochmeister diese Bauform ins Baltikum brachten. Die in fünf Jochen gewölbte Kirche schließt im Osten mit einer geraden Wand ab, eine Pfarrkirche braucht keinen Chorraum. Um 1380, nach mehr als einem guten Jahrhundert, war der Baukörper vollendet.

Besonders schmuck wirkt der Ostgiebel: Fünf spitze Wandpfeiler und mit zartem Maßwerk verzierte Spitzbogenblenden gliedern ihn straff. Das Spiel von Licht und Schatten wird bei der in mehreren Schichten aufgelösten Wand baukünstlerisch ins Kalkül einbezogen. Dieser monumentale Giebel gehört zu den besonderen architektonischen Leistungen der norddeutschen Backsteingotik. Der sichtbare Blendenschmuck des dritten Turmgeschosses mit seiner Maßwerkteilung und Rundblenden unter dem niedrigen, erst Mitte des 17. Jhs. aufgesetzten, Glockengeschoss bereichern das äußere Erscheinungsbild wesentlich. 77

Vier Paare kräftiger roter Pfeiler auf unterschiedlichen Grundrissen und die weißen gebusten Kreuzrippengewölbe prägen den lichten Innenraum. An der Südwestseite sind noch Fresken von 1411 zu sehen. Reste mittelalterlicher Ausmalung sind vor allem in den südlichen Turmseitenhallen und ihnen vorgelagerten Kapellen erhalten (rechts). Sie verraten niederländischen Einfluss oder Meister Bertram aus Minden, wie Prof. Kiesow vermutet.

Die bemerkenswert mit Intarsien und Schnitzereien verzierte Kanzel wurde 1587 von einer Greifswalder Ratsfamilie gestiftet. Kanzeln befanden sich im Mittelalter in der Mitte des Langhauses. Alle Messebesucher standen im Gottesdienst, außer dem Stadtrat, der in seinem Gestühl saß.
Bildname
Bildname

Für die Gemeinde wurde 1837 das heutige Kastengestühl aufgestellt. Das Altarbild ist eine Kopie von Corregios "Die Heilige Nacht" in einer aufwendigen neugotischen Rahmenarchitektur. Die Orgel baute Friedrich A. Mehmel aus Stralsund 1868. Am Haupteingang, am südöstlichen Turmpfeiler, ist ein zeitgenössischer eingeritzter Gedenkstein mit Kreuzigungsszene für Bürgermeister Rubenow, den Universitätsgründer, angebracht. Die Tafel wirkt wie ein Holzschnitt, auf der rechts Rubenow gegenüber von Maria und Johannes dem Evangelisten unter dem Gekreuzigten kniet.

Mit Beginn des 15. Jhs. wurde an der Südseite die Annenkapelle mit zwei polygonalen Apsiden und mit Putzblenden und Maßwerk verziert angefügt. Der Baudekor lässt auf den in der Mark Brandenburg tätig gewesenen Baumeister Heinrich Brunsberg schließen, u.a. bekannt von St. Katharinen in der Stadt Brandenburg und dem Rathaus von Tangermünde. 78 In der Annenkapelle befindet sich eine schöne Schnitzerei, wobei es sich wahrscheinlich um eine Nachahmung eines Kupferstiches aus der Werkstatt von Lucas Cranach handelt. 79
Bildname
4.5.4 Dom St. Nikolai
Der Greifswalder Dom ist die Haupt- bzw. Bischofskirche der Pommerschen Evangelischen Kirche - bis zu deren Eingliederung mit der Ev.-Luth. Landeskirche Mecklenburgs in die Nordkirche 2012. Dom wurde die Pfarrkirche erst mit der Einrichtung eines Kollegiats-Stiftes und der Gründung der Universität.

Der Kirchenbau begann mit einem einschiffigen Chorraum, dem später nach Westen hin die dreischiffige Hallenkirche angefügt wurde. Zugleich wurde das massive Untergeschoss des Westturms begonnen. Bereits 1362 erhielt die Kirche ihre erste Orgel. 1385 begann der Bau eines neuen Chorraumes mit gerader Ostwand, der zehn Jahre später fertiggestellt war. Damit fanden die Bauarbeiten vorerst ihren Abschluss. 80

Der fast 100 m hohe Turm mit welscher Haube von 1652 ist zu einem Wahrzeichen Greifswalds geworden, auch wenn er an St. Marien in Stralsund erinnert (siehe Kapitel 4.4.3). Die alte Turmspitze stürzte 1515 und 1650 zweimal in das Langhaus, zuletzt auch in das Südschiff und zertrümmerte die Inneneinrichtung vollständig.

Wie St. Marien entstand der Dom als dreischiffige gotische Hallenkirche. Ab Anfang des 15. Jhs. wurde das Langhaus weitgehend in eine Basilika umgestaltet, wenngleich der Obergaden nach Prof. Kiesow eher mickrig ausgefallen ist, denn Basiliken gehörten zum guten Ton in einer Hansestadt.

Das Innere des Kirchenschiffs hat eine Länge von etwa 80 m und eine Breite von etwa 30 m, es ist verputzt und in einem warmen Sandsteinton gehalten. Der Raum wird bis auf fünf Sterngewölbe in den südlichen Seitenschiffen durch Kreuzrippengewölbe, die von acht Achteckpfeilerpaaren getragen werden, geschlossen. Den Fußboden bedecken meistens Grabplatten, die bis ins 14. Jh. zurück reichen. Bemerkenswert sind die 22 umgebenden Kapellen. 81 Die Holzarbeiten wie Altar mit Brüstung, Chorwände, Kanzel - wobei ihr filigran geschnitzter Schalldeckel zu einem bemerkenswerten Kunststück geriet -, Gestühl, Taufe, Empore und Orgelprospekt, schuf bis 1833 der Kunsttischler Christian Adolf Friedrich, Bruder des berühmten Malers Caspar David. 82 Die Neugotik war laut Kiesow bestimmt vom romantischen Wunsch, die Gotik erst zu vollenden.

Der neue schlichte Mittelaltar eines Kielers ist laut Prof. Kiesow ungünstig aufgestellt, da ihn ein Teil der Gemeinde im Rücken hat; die Seile an den vier Leuchtern erinnern ihn an einen Boxring. Etwas fremd wirkt auch das 1988 eingebaute Musikpodium unter der aus dem selben Jahr stammenden rein mechanischen Orgel mit 3.800 Pfeifen von Jehmlich aus Dresden im alten Gehäuse. Dabei wurden 15 der 51 Register der Buchholz-Orgel wiederverwendet. Die Restaurierung von 1982 bis 89 leitete Prof. Friedhelm Grundmann aus Hamburg. Zur Einweihung sollte auch der EKD-Vorsitzende eingeladen werden, wurde aber wegen des Honecker-Besuchs wieder ausgeladen, denn der Bischof war eine "rote Socke", wie unser Professor anmerkte. Bischof Horst Gienke lud den Staatsratsvorsitzenden ohne Rücksprache mit Synode und Kirchenleitung eigenmächtig ein. Der Festgottesdienst, einer der letzten großen öffentlichen Auftritte Honeckers vor seinem Sturz, wurde daher von vielfältigen Protesten begleitet.

zurück   Übersicht   weiter