Kunststädte Ober-Italiens
Mit Prof. Dr. Dr. Ulrich Matthée, Kiel
Vom 28. März bis 6. April 2005
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1 Die Landschaft
Wenn wir in der Erdgeschichte ganz weit zurück gehen, so war einst im Jung-Tertiär, dem Pliozän, die Po-Ebene ganz vom Meer bedeckt. Das Gebiet wurde durch die Hebung der Alpen eingeengt und durch enorme Schuttmassen aufgeschüttet. In der Vereisung der Nordhalbkugel im Quartär dagegen war die Nordhälfte der Adria ganz trocken gefallen, der Po war Teil eines gewaltigen Stromsystems.

Der Po - mit kurzem, offenen o wie in Post gesprochen - ist mit seiner Länge von 652 Kilometern, seinem Einzugsgebiet von fast 75.000 Quadratkilometern und seiner Wasserführung der größte Fluss Italiens. Dieser Fluss sammelt sein Wasser sowohl in den Alpen als auch im Apennin. Die Po-Ebene hat etwa die Größe Niedersachsens.

Das Profil der Ebene hat Terrassen, die gegen den Po - lateinisch Padus - und in die Adria absteigen. Man unterteilt die obere Ebene (alta pianura) und die untere Ebene (bassa pianura). In der letztgenannten ermöglicht der hohe Grundwasserspiegel eine intensive Bewässerung; es breitet sich eine fruchtbare Ebene mit starker agrarischer Nutzung aus, während die obere Ebene trocken ist. An den Flüssen wird der Überschwemmungsgefahr mit bis zu zehn Meter hohen Deichen begegnet. 1 (Bild oben: Blick vom Deich auf den Po bei Casalmaggiore)

Die 500 km lange und 50 bis 120 km breite, meist fruchtbare, Ebene ist von vielen Kanälen durchzogen. Die Euganeen erheben sich inselartig darin. Die Poebene bildet einen Übergang vom mitteleuropäischen zum mediterranen Klima Südeuropas mit warmen Sommern, Hauptniederschlägen im Frühjahr und Herbst, kalten und nebelreichen Wintern. Rodung, römische Flureinteilung, Entwässerung und Kanalbauten bestimmen Landwirtschafts- und Siedlungsbild.
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Auf den Feuchtböden der Schwemmlandzone werden Reis, Weizen und Zuckerrüben angebaut, dazu kommt die Wiesenwirtschaft mit intensiver Viehzucht. Gräben und Baumreihen aus Pappeln und Maulbeerbäumen umrahmen die Felder, während ausgedehnte Obstkulturen die Emilia-Romagna prägen. An Bodenschätzen sind die Erdöl- und Erdgaslager von Bedeutung. 2  Zur Zeit wird die  Hochgeschwindigkeits-Eisenbahntrasse auf Stelzen errichtet, die wiederum etliche Brückenbauwerke für bestehende Bahnlinien und Straßen erfordert.

2 Die Städte
2.1 Sabbioneta
Sabbioneta wurde 1588 vom Gonzaga-Fürsten Vespasiano als Idealstadt nach Menschenmaß ganz im Stile der Renaissance planmäßig gegründet. Das Geschlecht der Gonzaga stieg in drei Jahrhunderten von 1329 an als Reichs-Vikare über Markgrafen auf zu Herzögen 1530. In ihrem goldsibernen Wappenschild erscheint schräg das Wort "Libertas", also "Freiheit". In der Gotik galt noch: Im Diesseits investieren für das Jenseits. Später, in der Renaissance, im aufkommenden Humanismus, wurde die Befreiung von der angeborenen Abhängigkeit propagiert.
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Das Band wurde zerrissen, der Mensch, das Humanum, wurde frei und selbst bestimmt, konnte das Diesseits voll genießen. Geld wurde Handelsware. Was der Kommerz erwirtschaftet hatte, wurde investiert in schöne Künste. Wir sehen diese neue Geisteshaltung in der heiteren Sinnlichkeit der Dekoration der Palazzi, wie uns Prof. Matthée erklärte.

Mitten in der grünen Ebene, die der träge fließende Fluss Po hinterlassen hat, liegt die kleine Stadt Sabbioneta. Schon aus der Ferne ist die weit ausgebreitete Stadtmauer mit den kantigen Bastionen auf sternförmigem Grundriss zu sehen, vor der sich ein heute meist morastiger Graben hinzieht. Innerhalb der Festung glaubt man sich um Jahrhunderte zurück versetzt, der Besuch der Stadt ähnelt einer Reise in die Vergangenheit. 3
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Bei einem Stadtrundgang besichtigten wir die Kirchen Santa Maria Assunta (Mariä Himmelfahrt), San Rocco (Rochus), gingen an der Synagoge vorbei, sahen die achteckige Kirche dell' Incoronata (Marien-Krönung) mit dem Mausoleum des Vespasiano und gingen zur Porta Vittoria (Siegestor) hinaus - und wieder hinein.

Geführt wurden wir durch den Palazzo Giardino (Gartenpalast), der, von 1578 - 88 erbaut, als Residenz des Herzogs reserviert war. Einem bescheidenen Äußeren steht ein Inneres gegenüber, das reich an Fresko-Dekorationen ist. Ein Seitenflügel mit einem offenen Laubengang unten trägt oben die Galerie der antiken Kunst. Der schmale Raum ist 96 Meter lang, hat eine Decke mit dekorierter Holztäfelung und Wandfresken, auf denen weibliche Allegorien dargestellt sind (Bild links).

Sabbioneta hat eines der ersten überdachten Theater überhaupt, das eigens zu diesem Zweck von 1588 - 90 errichtet wurde. Die Aufschrift an der Fassade bedeutet sinngemäß: "Oh Roma, wie viel du warst, lehrt selbst die Ruine." Innen im Teatro all' Antica gibt es eine Galerie mit korinthischen Säulen, die durch Statuen der Götter des Olymp gekrönt sind. Die Sitzränge sind aus einfachen Brettern und sehr steil angeordnet. Das fest aufgebaute Bühnenbild wurde jetzt dem im 18. Jh. verloren gegangenen Original nachgebildet.

Der Palazzo Ducale (Herzogspalast) wurde bereits 1554 begonnen als Repräsentationssitz des Herzogs. Innen sind Decken (Bild rechts) auch mit Holzschnitzereien und Golddekorationen. Besonders ist die Cavalcada, das sind die Holzstatuen der Pferde mit den reitenden Gonzaga. 4
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2.2 Cremona
Cremona ist mit rund 75.000 Einwohnern die Hauptstadt der Provinz Lombardei am Po. Cremona kann sich vieler prächtiger Kirchen rühmen. Der romanische Dom mit seiner Fassade aus rotem und weißem Marmor wurde zwischen 1107 und 1490 errichtet und gehört zu den wohl imposantesten Bauwerken der Stadt (Foto unten). Im 16. bis 18. Jh. wurde Cremona für die Geigen, die die Familien Amati, Guarneri und Stradivari bauten, weltweit bekannt. 5
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Die Stadt wurde 218 vor Chr. als römische Kolonie gegründet und entwickelte sich bald zu einer blühenden Handelsniederlassung. 69 n. Chr. wurde sie durch Kaiser Vespasian völlig zerstört, der sie wieder aufbaute. 451 war der Ort bereits Sitz eines Bischofs. Bis zu ihrer nochmaligen Zerstörung 603 durch die Langobarden erlebte Cremona eine Blütezeit. Ab 615 wieder aufgebaut, wurde Cremona im Mittelalter und der frühen Neuzeit von häufig wechselnden, uneingeschränkt waltenden Herrschern geprägt: Von 1112 - 66 war die Stadt freie Kommune. Im Kampf gegen Mailand war sie mit Kaiser Friedrich Barbarossa verbündet. 1334/44 wurde sie von den Mailänder Visconti unterworfen und gelangte ein Jahrhundert später an die Sforza. Mit dem Herzogtum Mailand kam sie 1797 an Frankreich, 1815 an Österreich und 1859 an Italien.

Ein kurzer Stadtrundgang vom zentralen Platz aus führte uns durch die Loggia dei Militi, einer Gedenkhalle. Dort hängt eine Tafel, die auf den angeblich "Großen italienischen Sieg" vom 4. November1918 hinweist; wir wissen alle, dies ist großer Unsinn, wie Matthée sagte.
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Das Stradivari-Denkmal aus Bronze (links) ist von 1999 und zeigt den Violinisten mit einem jungen Gehilfen. Etwas weiter liegt das Marmordenkmal der Beweinung des Todes von Stradivari. Ganz unscheinbar, nur an einer kleinen Plakette erkennbar, steht in einer einfachen Straße das Wohnhaus Stradivaris, in dem er sich von 1667 bis 80 aufhielt. Im Violinensaal des Rathauses, in den jeweils nur maximal 15 Personen gleichzeitig eingelassen werden, hängen in Glasvitrinen die kostbaren Geigen. In der Stadt finden wir mehrere Geigenfachgeschäfte.

Anders als der Palazzo Citta Nova ist der Palazzo Trecchi von 1496 mit einem schönen Innenhof ausgestattet.

In der Nähe von Cremona steht die Hochzeitskirche. Hier heirateten die Visconti (= Vize-Grafen) in die Familie Sforza ein. Bianca Maria war unehelich; nur darum durfte der Condottieri (= Kriegsunternehmer) sie heiraten.

2.3 Colorno
Colorno ist eine Kleinstadt, an deren dreieckiger Piazza der Palast aufragt. Über den Innenhof gelangt man nach rechts in einen barocken Park. Wir haben den Palast in einer italienischen Führung von innen kennen gelernt. Reich mit Fresken geschmückte Decken trösten etwas über das Fehlen von Möbeln hinweg. Alles Mobiliar wurde ausgeraubt und nach Florenz in den Palazzo Pitti sowie nach Rom in den Palazzo Quirinal für König Viktor Emanuel verbracht.
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Das herrschaftliche Wohnhaus verfügte einst über elf Ankleideräume und drei Schlafzimmer, von den zwei auch Männern zu betreten erlaubt war. Hier wohnte einst Marie Louise, die Frau Napoleons.
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Hinter dem Palast steht ein unscheinbarer Bau, der aber reich bemalte Decken und Wände aufweist. Unter dem Dach war ein Observatorium (unten rechts).
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Nebenan steht die größte Privatkapelle St. Liborius, die mindestens die Größe einer Kirche, wenn nicht die eines Domes erreicht (Bild oben links). Das Dominikaner-Kloster hatte einst vier Kreuzgänge.

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