3. Die Städte
3.1 Dillenburg

Die Siedlung entwickelte sich seit dem 12./13. Jahrhundert im Schutze der Burg zur nassauischen Residenzstadt. Die romanische und gotische Schlossanlage, um 1130 erbaut 35 auf steilem Berg über der Stadt, wurde im 16./17. Jahrhundert zu einer der stärksten westdeutschen Festungen ausgebaut. 1533 kam hier Wilhelm von Nassau-Oranien zur Welt, der Führer des niederländischen Befreiungskampfes.
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Im Siebenjährigen Krieg 1760 zerstört, legen nur noch die den Berg ringsum durchziehenden Kasematten Zeugnis von der einstigen Bedeutung ab. 36

Der Wilhelmsturm, 1872 - 75 als Aussichts- und Museumsturm erbaut, beherbergt auf mehreren Etagen das Nassau-Oranien-Museum. Die Exponate sind deutsch und holländisch beschriftet, der Stammbaum des niederländischen Königshauses nimmt eine lange Wand ein. Uns - wie Herrn Prof. Matthée - gefiel insbesondere ein großes Reiterbild (in Kopie) mit Ernst Casimir, Moritz, Wilhelm Ludwig, Philipp Wilhelm und Friedrich Heinrich.

3.2 Herborn
Wirtschaft und Verkehr ließen die Siedlung unter der Nassauer Burg, von der heute nur noch der im Kern gotische Palasbau erhalten ist, vor allem im 13. und 14. Jahrhundert blühen. Die berühmte theologische Hochschule erhob Herborn 1554 - 1817 zum geistigen Zentrum der Nassauer Lande mit Wirkung bis in die Niederlande. 37

Die „Hohe Schule" wurde von Wilhelm VI. von Nassau-Katzenelnbogen 1584, dem Jahr, in dem der „Vater der Niederlande" einem Attentat zum Opfer fiel, als Akademie gegründet. Diese universitäts-ähnliche Anstalt war in der damaligen deutschen Universitäts-Landschaft etwas Neues, da sie eine Kombination von Zubringerschule (Pädagogium) und Hochschule war. Der Name „Hohe Schule" spiegelt die bis heute unsichere Rechtslage wider: Nach Qualität und Struktur des Lehrkörpers war sie einer Universität sehr ähnlich, besaß aber keine Universitäts-Privilegien, die der Kaiser damals nur katholischen oder lutherischen, aber keinen reformierten (calvinistischen) Gründungen verlieh. Die calvinistische „Hohe Schule" gehörte bald zu den wichtigsten Bildungsstätten der Reformierten in Europa. Sie unterhielt Beziehungen nach England und Schottland, zu den hugenottischen Akademien in Frankreich, zur Schweiz und den Niederlanden, zur Böhmischen Bruder-Unität, nach Ungarn und Siebenbürgen. In Herborn entstanden die Bibelübersetzung von J. Piscator, ein Frühwerk zur Staatsvertragslehre von J. Althusius und die erste deutsche Enzyklopädie von J. H. Alsted. Der berühmteste Student war Jan Amos Comenius aus Mähren, der hier von 1611 - 13 war. 38

Die Anstalt zog in das 1591 umgebaute gotische Rathaus, das im 17. Jahrhundert durch Fachwerk und Erker bereichert wurde. Darin ist heute ein Hotel untergebracht, in dem die Reisegruppe vor Jahren auf einer Nassau-Oranien-Exkursion wohnte.

3.3 Diez
Diez liegt herrlich beiderseits der Lahn, die seit 1552 überbrückt ist. Hoch über den dicht gedrängten Häusern ragt der romanische Bergfried mit seinen von vier gotischen Ecktürmen verzierten Helm auf. 39

Wir besuchten die evangelische Stiftskirche, deren Gründung am Nikolaustag 1289 vom Erzbischof zu Trier eingewilligt wurde. Zum St. Marienstift gehörten Bauernhöfe, die sich zu beträchtlichem Grundbesitz vergrößerten. Nach dem Diezer Vertrag von 1564 zwischen Kurtrier und Nassau wurde die Reformation eingeführt. 1581 wurden der Haupt- und zwölf Seitenaltäre, Messbücher, Kirchengeräte und Gemälde von den Calvinisten entfernt. Im Kirchenbau befinden sich noch verschiedene Grabplatten und seit 1910 der aus schwarzblauem Marmor gefertigte Sarkophag der Fürstin Amalie von Nassau-Diez von 1726, der allerdings beschädigt ist. 40
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3.4 Limburg
Die Stadt legt sich Halbkreis förmig um Burg- und Domberg. Die winkligen Straßen und Plätze mit ihren Fachwerkhäusern bilden ein städtebauliches Kleinod. Auf steilem Fels verkörpert der Dom das Bild der Gottesburg des hohen Mittelalters. Mannigfache Anregungen aus dem Rheinland und aus Frankreich trafen zusammen. So entstand im 13. Jahrhundert ein ungemein reich durchgebildetes Bauwerk, das beispielhaft zeigt, zu welch eigenwilliger Höhe sich die deutsche Romanik unter Aneignung früh gotischer Einzelformen entwickelte. 41

Schon von 910 bis 1803 war der Berg Sitz des Stiftes St. Georg und Nikolaus. 1827 wurde die Kirche Kathedrale eines neuen nassauischen Bistums. Der Dom wurde in den letzten Jahren außen sehr farbig bemalt. Daran angrenzt die Gaugrafenburg. Innen ist wenig an Ausstattungsstücken vorhanden. Uns fiel das Hochgrab des Gaugrafen Konrad Kurzbold auf. Über Mittag blieben wir in der beliebten Touristenstadt.

3.5 Wetzlar
Die Anfänge Wetzlars reichen bis ins 9. Jahrhundert zurück. Um das Marienstift wuchs eine rasch blühende bürgerliche Siedlung empor, die vor 1180 freie Reichsstadt wurde. Es kam zu einem wirtschaftlichen Niedergang, bis die Reichsstadt von 1693 - 1806 zum Sitz des Reichskammergerichts wurde. 42

Die Altstadt zieht sich von der Lahn den Berg hinauf. Ihre Silhouette wird vom mächtigen Dom, der ehem. Stifts- und Pfarrkirche St. Maria, beherrscht. Eigentlich sind es zwei Dome, in dem hochgotischen Sandsteinbau (1235 - 40) steckt noch der aus dem letzten Viertel des 12. Jahrhunderts stammende romanische Kern. Um 1374 musste die Bautätigkeit wegen des Stadtbankrotts abgebrochen werden.

Im Sommer 1772 war Johann Wolfgang Goethe als Rechtspraktikant am Reichskammergericht eingeschrieben. Im Gasthaus „Zum Kronprinzen", Domplatz 17, hatte er seinen Mittagstisch. Mit anderen jungen Juristen gehörte er hier einer Rittertafel an und trug den Ritternamen „Götz der Redliche". 43
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Die Deutschordensritter hatten seit 1287 eine Niederlassung mit Ritterherberge und Zehntscheune. Im ehemaligen Verwalterhaus, Lottestraße 8 - 10, wurde 1753 Charlotte Buff geboren: Eine freundschaftliche Neigung verband sie seit dem Sommer 1772 mit Goethe. Seinem Werben widerstand sie dennoch, sie war bereits verlobt. In dem Haus besuchten wir die schön arrangierte Ausstellung. Im Bild ohne Kopf: Nicht Lottes Hochzeitskleid, sondern ihr weißes Unterkleid.

Am Schillerplatz 5 steht neben dem Haus des Buchdruckers und Verlegers Winckler ein kleineres Haus. Am 30. Oktober 1772 erschoss sich hier der braunschweigische Legationssekretär Karl Wilhelm Jerusalem (* 1747). Goethe verknüpfte seine eigenen Erlebnisse und das tragische Ende Jerusalems in seinem 1774 erschienenen Briefroman „Die Leiden des jungen Werthers".

3.6 Alsfeld
Von einem Hang, jenseits der Schwalm-Niederung, um den Turm der Walpurgis-Kirche herum geschachtelt, grüßt eine der schönsten Fachwerkstädte. 44 Das Rathaus (1512 - 16) ist eines der bedeutendsten deutschen Fachwerk-Rathäuser. 45 Es ist ein früher Rähmbau mit starken Hölzern, vorstehenden, gekehlen Balkenköpfen und gekrümmten Eckstreben auf einer offenen, spätgotischen Markthalle aus Sandstein. Daneben erhebt sich das steinerne Weinhaus von 1538, das an seinen Vorhangbogen-Fenstern erkennen lässt, dass die Spätgotik bereits in die Renaissance übergeht.

Gleich hinter dem Rathaus steht die Walpurgiskirche. Im späten 13. Jahrhundert entstand eine frühgotische Basilika mit gestrecktem, aber niedrigem Chor und Westturm. Das Gebäude wurde durch Erhöhung und Verbreiterung der Seitenschiffe und Ausbruch hoher Arkaden zu einer Art Hallenkirche umgestaltet. Die malerische Baugruppe aus verschiedenen Stilepochen wirkt auch innen eindrucksvoll durch den Kontrast des dunklen, niedrigen Schiffes mit dem hellen, hohen Chor.
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Auf der anderen Ecke des Marktplatzes steht das Hochzeitshaus von 1564 - 71, ein wirkungsvoller Renaissance-Steinbau mit zwei Giebeln zu beiden Straßenseiten und mit Eckerker.

3.7 Marburg
Fraglos ist Marburg durch die Giebel seiner heimeligen Fachwerkhäuser, seine Türme und Terrassen, seine Gässchen und abgetretenen Treppen, die hinauf führen zum beherrschenden Landgrafenschloss, eine der reizvollsten Bergstädte Deutschlands. Seit 1527, als Philipp der Großmütige die Universität gründete, gibt studentisches Leben der wohl konservierten Stadt ihr jugendliches Gepräge. 46

„Die alte, von jeher durch den letzten Aufenthalt, Tod und Begräbnis der heiligen Landgräfin Elisabeth von Hessen berühmte Stadt, liegt krumm, schief und buckelig, unter einer alten Burg, den Berg hinab.", so urteilte vor mehr als zweihundert Jahren ein Marburger Professor. 47

Von 1233 bis 1809 war in Marburg der Deutsche Orden ansässig. Das „Deutsche Haus" mit barockem Portal ist heute Universitäts-Institut. Die Komturei mit spätgotischem Erker und der Fruchtspeicher von 1515 grenzen an. Die Elisabeth-Kirche wurde 1235 von den Ordensrittern erbaut über dem Grab der soeben heilig gesprochenen Landgräfin Elisabeth von Thüringen, die als Witwe in Marburg gewirkt hat.

Die anmutige Figur der Hl. Elisabeth (siehe mein Reisebericht aus 2003) ist zur Zeit auf Reisen. Anwesend ist jedoch das Baldachin überwölbte Elisabeth-Mausoleum, unter dessen Tumba sich vermutlich ihr Grab befunden hat. Kostbarster Schatz ist der Elisabeth-Schrein in höchster Vollendung in der Sakristei.

Die Grabstätte des früheren Reichspräsidenten von Hindenburg liegt etwas versteckt im düsteren nördlichen Seitenschiff. Im hellen südlichen Nebenschiff liegen die Grabstellen diverser Landgrafen, die sich leider nicht einzeln zuordnen ließen.

Ganz Kräftige von unserer Gruppe stiegen bis zum Landgrafenschloss auf den Gisonenberg auf, während die Hungrigen sich eine Mittagsmahlzeit in einem der zahllosen Lokale geben ließen. Diese stehen zum Beispiel gegenüber vom Rathaus am Marktplatz. Auf diesem Platz ließ sich 1248 Sophie von Brabant, Tochter der Hl. Elisabeth, mit ihrem dreijährigen Sohn Heinrich huldigen und legte damit den Grundstein für das Land Hessen. Marburg bezeichnet sich daher nicht zu Unrecht als Wiege des Hessenlandes. 48
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3.8 Karlshafen
Landgraf Karl (1670 - 1730) ließ das anmutige Städtchen am Zufluss der Diemel in die Weser anlegen, das sich noch weitgehend erhalten hat. 49 Der Landgraf fasste 1699 den Entschluss, im nördlichsten Zipfel Hessens unter dem Namen „Sieburg"  50 eine „repräsentative Portalstadt" zu gründen. Nach dem aus der Antike übernommenen Schönheitsideal haben Höhe, Breite und Tiefe aller Häuser, Straßen und Plätze ein Verhältnis von 2 : 3. Hugenotten wurden angesiedelt, Menschen, die wegen ihres evangelischen Glaubens in Frankreich verfolgt wurden. Die Stadt wurde in „Karlshafen" umbenannt. Links im Bild: Plan von Sieburg, unten die Weser, rechts die Diemel, in der Mitte der Hafen mit den beiden Kanälen sowie den Gebäude-Karrees (aufgenommen im Rathaus).

Der Landgraf versuchte, nachdem sein Land im Dreißigjährigen Krieg verwüstet und verödet war, durch den Ausbau der Verkehrsverbindungen und den Bau eines Kanals, der die Weser mit dem Rhein verbinden sollte, sein Land zu neuer wirtschaftlicher Blüte zu führen und durch den Bau des Kanals das Stapelrecht im damals welfischen Hannoversch Münden zu umgehen. 51

Der Bau des Kanals nach Kassel blieb nach etwa 15 Kilometern auf der Strecke. Mittelpunkt der Stadt ist dennoch das ovale Hafenbecken. An seiner Längsseite steht das Rathaus von 1715, ursprünglich Packhaus, mit dem Stadtmodell, das alle geplanten Stadtteile vorstellt. Auch das Invalidenhaus stammt aus dieser Zeit und wurde wie viele Bürgerhäuser in schlichtem Barock errichtet. Der Ort wuchs genau nach landesherrlicher Planung, wenngleich ein Teil nach Karls Tod und dem Ausbruch des Siebenjährigen Krieges nicht ausgeführt wurde.

Im Jahr 1730 entdeckte der hugenottische Arzt Galland die erste Solequelle, die zuerst zur Salzgewinnung genutzt wurde. Ein Jahrhundert später beschloss man, die Quelle zu Badezwecken zu nutzen. Besondere Heilkraft entwickelt die Sole u.a. bei Asthma, Rheuma und Bronchitis. - Wir ließen hier den Tag ausklingen mit kleinen Einkäufen und Café-Besuchen.

3.9 Spangenberg
Ob der Ortsname von den Seelilien im Gestein oder den beiden die Stadt umgreifenden Flüssen stammt, ist strittig. Das wohlerhaltene Städtchen wird von einer Burg überragt. 52 Spangenberg war die bestbefestigte Burg in ganz Hessen. Sie wurde bereits von 1235 - 37 erbaut und wird seit 1985 als Hotel und Restaurant genutzt. Wir schauten in den vom Keller aus zugänglichen 138 Meter tiefen Brunnen. Wir besichtigten das „Schloss- und Jagdmuseum" neben dem Schloss, dessen Führer sich strikt nach seinem Skript richtete, das aber einen Widerspruch zur Beschriftung an der Wand aufwies. Herr Zenker erwies sich eher als profunder Kenner von Wild, Waffen und Jagd. Dem pfiffigen Jungen, der uns den Weg dorthin wies, begegneten wir anschließend in der Stadt wieder.

Die Spangenberger Altstadt zählt zu den schönsten mittelalterlichen Fachwerk-Ensembles Hessens. Verwinkelte und enge Gassen, romantisch verspielte Ecken sowie reich verziertes Gebälk versetzen den Besucher in längst vergangene, beschauliche Zeiten zurück. 53
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In der Altstadt sahen wir uns die Pfarrkirche an, deren Kern noch romanisch bis frühgotisch ist (1280 - 1420). 54 Das Bauwerk ist sehr breit und geräumig. Uns interessierte mehr der Eingangsbereich mit der Grabplatte von Margarethe von der Saale von 1566. Sie erinnern sich: Sie war die morganatische Zweitfrau von Philipp dem Großmütigen. Margarethe musste sich nach dem Tod ihres Gatten auf Druck des Adels in ein Stadthaus zurück ziehen, in dem heute die Sparkasse (rechts) residiert. Ihr letztes Domizil in der Stadt konnten wir nicht genau zuordnen.
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3.10 Melsungen
Das Bild der schönen Fachwerkstadt wird beherrscht vom Rathaus, das 1555 - 56 auf der Mitte des Marktplatzes erbaut wurde: ein stolzer Bau mit drei Geschossen und vier Türmchen an den Ecken des mächtigen Krüppelwalmdaches. 55 Punkt 12:00 Uhr öffnete sich ein Türchen im Mittelturm und ein Holzfäller schliff seine Barte. Barten sind Beile oder Äxte. Denn Melsungen war wie heute noch von dichten Wäldern umgeben. Die Holzfäller zogen jeden Morgen zum Holz schlagen in den Wald. Unterwegs wetzten sie ihre Barten an der Mauer der Bartenwetzer-Brücke, wo noch heute Spuren zu sehen sind. 56

Das Schloss aus der Renaissance (1550 - 77) wurde von Landgraf Philipp den Großmütigen errichtet. Es diente bis 1632 Landgraf Moritz dem Gelehrten als Sitz. Danach war das Schloss Garnison der kurfürstlichen Reiter. Im letzten Jahrhundert war in ihm die Hessische Forstakademie untergebracht. Das Schloss mit Nebengebäuden beherbergt jetzt Landratsamt, Amtsgericht und Finanzamt. Einen Prospekt mit einem Spaziergang konnten wir für -,30 Euro im Fremdenverkehrsbüro im Hause der Kreissparkasse erwerben.

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