Wilhelm Tell und Andreas Hofer -
bäuerliche Rebellen gegen Fremdherrschaft
Exkursion mit Prof. Dr. Dr. Ulrich Matthée
in die Zentral-Schweiz und in das italienische Süd-Tirol
vom 19. April bis 2. Mai 2009

1 Landschaften und ihre Geschichte
1.1 Schweizer Farbenlehre  
Drei Großlandschaften bilden die Schweiz: der Jura im Nordwesten, das Mittelland und die Alpen im Süden. Drei große Muttersprachen werden gesprochen: Deutsch von etwa 63,7 % im Norden und in der Mitte, wobei wir das alemannische „Schweizerdeutsch" vom „Schriftdeutsch" unterscheiden, 20,4 % Französisch im Westen und 6,5 % Italienisch südlich des Alpenkammes; 0,5 % sprechen noch Bündnerromanisch. 17 der 23 Kantone sind einsprachig deutsch. 9 % der Bewohner sprechen ihre ausländische Muttersprache. Von den Religionsgemeinschaften führt die Katholische Kirche mit 42 % vor dem Evangelischen Kirchenbund mit 35 %.
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Sprachen:
Violett = Französisch
Rosa = Deutsch
Grün = Italienisch
Gelb = Rätoromanisch
Konfessionen:
Dunkelgrün = Protestantisch > 50 %
Hellgrün = Protestantisch > 40 %
Dunkelrot = Katholisch > 50 %
Hellrot = Katholisch > 40 %

Die Schweiz hat gleich zwei große Reformatoren hervor gebracht: Ulrich Zwingli in Zürich und Johannes Calvin, eigentlich Jean Cauvin, in Genf. Den Kalvinismus nennt man auch den „Motor des Kapitalismus". Ihn prägt die Prädestinationslehre mit der Frage der Erwählung jedes Einzelnen durch Gott. Der Grad der Erwählung kann an den Lebensverhältnissen, nicht zuletzt am wirtschaftlichen Erfolg, erkannt werden; damit beeinflusste der Kalvinismus die wirtschaftliche und soziale Entwicklung Westeuropas und durch Auswanderung auch Nordamerikas. 1

1.2 Eidgenössische Geschichte
Nach dem Aussterben der Zähringer 1218 und dem Niedergang der Staufer 1250 kamen im Westen die Savoyer und im Norden und Osten die Habsburger zur Vorherrschaft. Anfang August 1291 kam es zum legendären Schwur auf der Rütli (= kleine Rodung) genannten Bergwiese über dem Urner See, einem Ausläufer des Vierwaldstätter Sees, der den Anfang der Schweizer Geschichte markiert. Hier schlossen drei „Waldstätte", Uri, Schwyz und Unterwalden, einen „Ewigen Bund".  Sie heißen seither die Urkantone. Nach der Schlacht am Morgarten 1315 traten bei: Luzern 1332, Zürich 1351, Glarus und Zug 1352 sowie Bern 1353; diese bildeten jetzt die „Acht alten Orte" und nannten sich schon Schweiz.
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Im Foto links die Gedenkkapelle. Die Inschrift an der Innenwand lautet: „Am 15. Nov. 1315 kämpften für Gott und Vaterland die Eidgenossen am Morgarten die erste Freiheitsschlacht".

Der im Oberdeutschen Städtekrieg gegen die Habsburger errungene Sieg von Sempach 1386 sicherte die Unabhängigkeit. Im Foto rechts die Gedenkkirche, innen übervoll mit Wappen bemalt und dem Schlachtengemälde an der Längswand (unten).
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Die Eidgenossen verteidigten sich gegen Karl den Kühnen in den Burgunderkriegen 1474 - 77. Freiburg und Solothurn schlossen sich 1481 an. Mit dem Sieg der Eidgenossen im Schwabenkrieg 1499 waren sie de facto vom Deutschen Reich losgelöst. Basel und Schaffhausen wurden 1501, Appenzell 1513 aufgenommen, somit bestanden jetzt die „Dreizehn alten Orte". Außer ihnen gab es die „zugewandten Orte" wie St. Gallen oder Mülhausen im Elsass und Rottweil im Schwarzwald, die in einem Vertragsverhältnis zu einem „alten Ort" standen. Einige Kantone eroberten sich „Untertanenländer" wie Teile von Aargau und St. Gallen sowie die heutigen Kantone Thurgau und Tessin.

Die beiden Reformatoren Zwingli im deutschsprachigen und Calvin im französischsprachigen Teil führten ihre Lehren 1519  bzw. nach 1540 ein. Luzern, Zug, Freiburg, Solothurn und die drei Urkantone blieben bei der katholischen Konfession. Die beiden Landfrieden von Kappel von 1529 und 1531 lösten den Religionskonflikt; Glaubensfragen wurden den einzelnen Gemeinden überlassen. Außenpolitisch blieb die Schweiz seit dem 17. Jh. neutral. Im Westfälischen Frieden von 1648 wurde die Eidgenossenschaft völkerrechtlich aus dem Reichsverband entlassen.
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Unter Napoleons Armee brach die Schweiz 1798 zusammen (Links: Kampf der Russen und Franzosen auf der Teufelsbrücke am Gotthard-Pass am 25. September 1799, Original von 1898, Kopie von Peter Posner 1993). Bereits 1803 wurde ein neuer Staatenbund gebildet aus jetzt 19 Kantonen, denn zugewandte Orte wie Untertanenländer wurden selbständig: St. Gallen, Graubünden, Aargau, Thurgau, Tessin und Waadt. 1815 schlossen sich noch Genf, Neuenburg und Wallis an. 2

Sieben katholische Kantone schlossen sich 1845 zum Sonderbund zusammen, was aber der Bundesvertrag von 1815 verboten hatte. Der Sonderbundskrieg endete 1847 mit der Niederlage der konservativen Kantone, da die erhoffte Unterstützung durch das ebenfalls konservative Österreich ausblieb. Der jüngste Kanton ist Jura, er wurde 1979 von Bern abgelöst. Damit bestehen 23 Kantone (Tafel in Küssnacht, Reihenfolge entspricht dem Beitrittszeitpunkt).
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1.3 Schweizer politisches System
Prof. Matthée nennt die Schweiz eine Konsens- statt Konkurrenz-Demokratie. Nicht zwei große Blöcke wie Linke und Rechte ringen gegeneinander um die Macht, wobei einer die Regierung stellt und der andere in die Opposition muss. Man spricht seit 1959 auch von der sog. „Zauberformel" 2:2:2:1 im siebenköpfigen Bundesrat, dem Regierungskabinett. Diese quasi „große Koalition" bilden: Freisinnig-Demokratische Partei (FDP), Christlich-Demokratische Volkspartei (CVP, vormals Katholisch-Konservative Partei), Sozialdemokratische Partei (SPS) und Schweizerische Volkspartei (SVP, vorher BGB Bauern-, Gewerbe- und Bürgerpartei). 3 Seit 2003 gilt aber eine neue Farbenlehre: Die Bürgerlich-Demokratische Partei (BDP) spaltete sich von der rechtskonservativen SVP ab und stellt einen Bundesrat, also Minister. Damit sind jetzt fünf Parteien vertreten, von denen nur noch die FDP und die SPS zwei Bundesräte stellen. 4 Einer aus der Mitte des Bundesrates wird für je ein Jahr zum Bundespräsident gewählt.

Gesetzgebendes Organ ist die Bundesversammlung. Sie besteht aus zwei Kammern: dem Nationalrat (200 Abgeordnete) und dem Ständerat aus den Kantonen (46 Abgeordnete). Jeder Kanton entsendet zwei Abgeordnete, jeder Halbkanton einen. Halbkantone sind: Obwalden und Nidwalden aus Unterwalden; Basel-Stadt und Basel-Landschaft getrennt seit 1833 sowie Appenzell Ausserrhoden und Appenzell Innerrhoden getrennt seit 1597, aus konfessionellen Gründen geteilt. Die neue Verfassung von 1999 spricht aber nur von „Kantonen". 5

Die Schweiz lebt direkte Demokratie. Wenn mindestens 50.000 Stimmbürger oder acht Kantone es verlangen, muss ein - von beiden Kammern genehmigtes - Bundesgesetz oder Staatsvertrag zur Volksabstimmung vorgelegt werden. Für die Verfassung ändernde Volksbegehren werden 100.000 Stimmbürger benötigt.
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1.4 Zentral-Schweiz
Das Gebiet um den Vierwaldstätter See (auch in einem Wort geschrieben) verdient den Namen „Herz der Schweiz", nicht nur wegen seiner Lage etwas links oben, sondern auch gefühlsmäßig. Hier entstand die Eidgenossenschaft, hier schlossen die drei ältesten Kantone ihren Bund. 6 Dies weiß jeder Schweizer. Und fast jeder Schweizer ist ein Patriot im wohlverstandenen Sinne: „Ein Patriot ist jemand, der sein Vaterland liebt. Ein Nationalist ist jemand, der die Vaterländer der Anderen verachtet.", so der verstorbene deutsche Bundespräsident Johannes Rau.

Nicht allzu strenge, aber grandiose Berge, ein durch tiefe und enge Täler in alle Richtungen auseinander gezogener See mit der von allen Schweizer Seen kompliziertesten Form, prägen die Naturlandschaft. Darin eingebettet liegen malerische Marktflecken, gut ausgebaute Straßen, Eisenbahnen und Seilbahnen.

Bild an der Hauswand in Küssnacht, rechts vom Hotel „Zum Hirschen". Der Text unterhalb lautet: „Am 22. Nov. 1847 begrüsst Küssnacht mit Jubel die eidgenössischen Truppen. Am 22. Aug. 1848 nimmt es mit überzeugendem Mehr die Bundesverfassung an. Und immer währt seine Liebe zum einen und vielgestaltigen Vaterland." Auf der nach Süden ausgerichteten Landkarte, aufgenommen am Fähranleger, ist Luzern unten eingezeichnet.
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1.5 Liechtenstein
Mit gerade einmal 34.000 Einwohnern auf einer Fläche von 160 km² ist das Fürstentum Liechtenstein seit 1866 einer der kleinsten unabhängigen Staaten der Erde. Das Staatsgebiet liegt rechts des Alpenrheins, eingeklemmt zwischen der Schweiz und Österreich. Immerhin leben hier rund 12.000 Ausländer, also ein Drittel der Einwohner; die meisten sind Schweizer, Österreicher, Deutsche und Italiener. Das Pro-Kopf-Einkommen ist eines der höchsten der Erde.
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Die Grafschaft Vaduz besteht bereits seit 1342, das österreichische Adelshaus Liechtenstein mit einstmals reichen Besitztümern in Mähren erwarb Vaduz 1712, das sieben Jahre darauf zusammen mit Schellenberg zum Reichsfürstentum Liechtenstein erhoben wurde. Ab Mitte des 19. Jh. bildete das Fürstentum eine Zollunion mit Österreich, seit den zwanziger Jahren des 20. Jh. besteht ein Zollvertrag mit der Schweiz, von wo aus auch das Gesundheitswesen und die Außenpolitik  organisiert sind. Bezahlt wird ebenfalls mit Schweizer Franken. Fürst Hans-Adam II. hat nach der Verfassung weit reichende Rechte: Er kann die Regierung auflösen und eine neue einsetzen sowie Richter ernennen. Das Volk kann allerdings einen Misstrauensantrag gegen das Staatsoberhaupt stellen oder sogar die Monarchie abschaffen.

Steuervergünstigungen und Bankgeheimnis stärkten den Wirtschaftsstandort. Etwa 100.000 ausländische Unternehmen haben hier ihren Sitz. 7 Das Steuerparadies Liechtenstein hat das höchste Bruttoinlandsprodukt pro Kopf weltweit: Es liegt bei 169.000 Schweizer Franken (etwa 110.000 Euro) pro Erwerbstätigem. Der Finanzdienstleistungssektor bestimmt die  Volkswirtschaft. Rund 15 % der Erwerbstätigen sind hier tätig, die rund 30 % zum Bruttoinlandsprodukt beitragen.
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In Liechtenstein haben 15 Banken eine Lizenz; zu ihnen kommen Treuhandunternehmen, Versicherungen, Fonds- und Anlagegesellschaften. 8  Foto links: Modernes Bürohaus, rechts die Liechtensteinische Landesbank. Soll die Skulptur das Bankgeheimnis verkörpern?

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