4 Die Städte
4.1 Weimar
Weimar, kreisfreie Stadt mit rund 65.000 Einwohnern in Thüringen, liegt nicht an der Saale, sondern an deren Nebenfluss Ilm. Die älteste Urkunde als Ort zeugt von 899, als Burg von 984. Ab 1067 für drei Jahrhunderte gehörte dieses Gemeinwesen den Grafen von Weimar-Orlamünde (schauen Sie sich einmal das Wappen von Orlamünde an und zählen Sie die Herzen). Die Stadtrechte wurden 1410 gewährt. Weimar fiel an die Wettiner, dann an deren ernestinische Linie, deren ständige Residenz es ab 1546 wurde. Das Herzogtum hieß später Sachsen-Weimar, dann auch als Großherzogtum Sachsen-Weimar-Eisenach. 8
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Von 1708 - 16 wohnte Johann Sebastian Bach als Organist und Kammermusiker in der Stadt. Als Sternstunde für das deutsche Geistesleben gilt das Jahr 1772, als Christoph Martin Wieland als Erzieher des Prinzen Karl August an den Hof der verwitweten Herzogin Anna Amalia geholt wurde. Durch Wieland kam 1775 Johann Wolfgang Goethe zum mit 18 Jahren jetzt Herzog gewordenen Karl August nach Weimar; Johann Gottfried Herder folgte 1776 Goethes Ruf. 1787 hielt sich Friedrich Schiller erstmals hier auf. Jean Paul war 1798 - 1800 hier. Der ungarische Pianist und Komponist Franz Liszt war von 1848 - 59 Hofkapellmeister. Weimar wurde Mittelpunkt der deutschen Klassik. 9

Ein Jahrhundert nach den vier Klassikern errichtete Henry van de Velde die Hochschule für Architektur ab 1904; Walter Gropius schuf 1919 das Bauhaus. Im selben Jahr tagte die Deutsche Nationalversammlung im Nationaltheater, um die Weimarer Republik zu begründen. Von 1920 bis 1948 war Weimar die Landeshauptstadt von Thüringen.

Ein Rundgang führt zuerst zum Schloss, erbaut von 1789 - 1803, vor dem sich der Torbau der mittelalterlichen Burg Hornstein, die sog. Bastille, erhebt (Foto links oben). Am klassizistischen Neubau hatte Goethe entscheidenden Anteil.

Etwas weiter stehen über Eck links die Anna-Amalia-Bibliothek (Foto links unten) und rechts die Musikschule.
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Nichts erinnert äußerlich mehr an den verheerenden Brand von 2004 im 1761 - 66 umgebauten Haus. Unter Goethe wurde die Sammlung von 30.000 auf 132.000 Schriften erweitert. Auf weiten Platz davor steht das Reiterstandbild für Karl August.

In der Innenstadt ist das Hotel Elephant bekannt. Gegenüber beeindrucken die Renaissance-Torbögen des Lucas-Cranach-Hauses von 1549, als einziges am Platz von Bomben 1945 unzerstört (Foto rechts).
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Nicht weit davon, im Zentrum der mittelalterlichen Marktsiedlung, steht die Stadtkirche St. Peter und Paul (Fotos unten), nach ihrem bedeutendsten, hier auch begrabenen, Hofprediger und Generalsuperintendent auch Herderkirche genannt. Sie ist eng verbunden mit dem großen Geschichtsphilosophen und Theologen, der später in Bronze gegossen seiner Kirche "vorstehen" sollte (Foto rechts).

Die auf Fundamenten seit 1245 ruhende spätgotische Form von 1498 vom Bauherrn, dem Deutschen Ritterorden, blieb nur im Chor erhalten. Die dreischiffige Hallenkirche mit einschiffigem Chor wurde ab 1735 barock umgebaut. Amerikanische Sprengbomben vom 9. Februar 1945 richteten große Schäden an: Zwei Drittel des Dachstuhls stürzten ein, mit ihm der kleine Ostturm; Altar, Kanzel, Epitaphien und Orgel erlitten zum Teil erhebliche Schäden. 10
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Im Chor ragt das eindrucksvolle Altar-Triptychon auf, etwas eingeengt durch die hohen Grabmäler für Johann Wilhelm und Johann III. Martin Luther und seinem Werk hat Lucas Cranach d.Ä. in den strahlenden Formen des Alterswerks seinen großen Flügelaltar gewidmet. Luther ist an Stelle des Lieblingsjüngers Johannes in voller Lebensgröße unter dem Kreuz zu sehen. Sohn Lucas d.J. vollendete das Werk, der seinen Vater neben Luther als geistigen Begleiter ins Bild malte; ihn trifft der Blutstrahl aus Christi Wunde.

Gleich hinter der Kirche steht das Herder-Haus, einst Pfarrhaus, mit beschaulichem lang gestreckten Garten dahinter; hier lebte der Philosoph 27 Jahre lang und wurden sechs von Herders acht Kindern geboren.

Auch auf das Goethe-Wohnhaus am Frauenplan warfen wir einen schnellen Blick, ebenso wie auf das Goethe-Schiller-Standbild von 1852 vor dem Nationaltheater von 1907. Ach, hätten wir doch mehr Zeit an diesem herrlichen Sommernachmittag...

4.2 Jena
Eine Siedlung an der Saale namens "Jani", dies bedeutet im Althochdeutschen "Reihe gemähten Grases oder Getreides", wurde bereits um 830 erwähnt, sie bekam 1236 Stadtrechte. Der Name wandelte sich über "Jene", "Jehen", "Gene" nach "Jhena" bis "Jena". 11  Jena erhielt 1548 Universitätsrang, als Johann Friedrich I. sein Akademisches Gymnasium gründete. Zehn Jahre darauf nahm die Universität ihren Betrieb auf, die Ende des 17. Jh. die größte in Deutschland war. Europäischen Ruf erlangte sie, als Johann Wolfgang von Goethe sie betreute, als Friedrich Schiller, Johann Gottlieb Fichte, Georg Wilhelm Friedrich Hegel, August Wilhelm von Schlegel und der Philosoph Friedrich Wilhelm Joseph von Schelling hier lehrten. 12  Das etwas unscheinbare Uni-Hauptgebäude entstand 1908.

Doch Jena ist nicht nur eine Stadt der Universität, sondern auch des Glases, wie unsere Stadtführerin Christine Musil betonte. 1846 gründete Carl Zeiss seine feinmechanisch-optische Werkstatt, und 1884 entstand von Friedrich Otto Schott das Glaswerk Schott & Gen. Ernst Abbe, langjähriger Mitinhaber und ab 1888 Alleininhaber der Zeiss-Werke, gründete seine Carl-Zeiss-Stiftung. (Foto rechts: Grabstein auf dem St.-Johannis-Friedhof, Fundstelle siehe Tafel an der Kirchenwand außen.)

In den Zeiss-Werken ging es schon vor mehr als einem Jahrhundert fortschrittlich zu, wie uns die Stadtführerin sagte: Wegen der konzentrierten Arbeit im Halbdunkel gab es einen 8-Stunden-Arbeitstag, weitere 8 Stunden dienten Bildung (auch im Volkshaus) und Familie und 8 Stunden dem Schlaf. Eine Führung im Optischen Museum zeigt im Keller die nachgebaute Werkstatt von 1866. Mikroskope wurden noch in "pröbelnder und probierender Weise gefertigt, jedes ein Unikat. Ein Mikroskop kostete damals 50 Taler, Meister Abbe bezog ein Jahresgehalt von 200 Talern, in vier Jahren Ausbildung mussten an den Meister 100 Taler gezahlt werden. Ernst Abbe hat die einzelnen Arbeitsgänge spezialisiert, wie die Werkbänke deutlich erkennen lassen. Das Fotografieren im engen Raum ist nicht zu empfehlen und würde 5 Euro kosten. (Foto links: Hier stimmt für mich die Optik: der hohe Mittelalterturm vor dem niedrigen modernen Glasturm.)
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1926 bekam Jena sein Planetarium. 13  Dieses hat einen Durchmesser von 56 Metern. Gezeigt werden nicht nur Sternenhimmel, sondern neuerdings als Panoramakino "Der Sprung ins All" für 9 Euro. Die Schau ist eindrucksvoll, auch wenn die Raketen bei Plätzen am Rand reichlich krumm erscheinen und die Geschichte der Mondfahrt nach Hollywood-Manier leichte Lücken aufweist.

Die Mittelachse der Stadt mit gut 100.000 Einwohnern und 45.000 Arbeitsplätzen im Saaletal ist heute etwa 15 km lang. Unübersehbar ragt das runde Hochhaus 128 m über alle Dächer der Stadt: der ehem. Uni-Turm, den Prof. Hermann Henselmann 1970 - 72 für den "VEB Carl Zeiss Jena" als Forschungsstätte erbaut hat. 1998 zog die Uni aus, so dass die Büroräume im überdimensionierten Gebäude zuerst der Stadtverwaltung dienten, jetzt mühsam an diverse Firmen vermietet werden, auch an die Intershop AG, mit der es bereits 1996 bergab ging.

Der neue Gebäudefuß mit etlichen eher teuren Ladengeschäften gefällt der Stadtführerin gar nicht. Ebenso wenig Gefallen fand ich an der mit einem Architekturpreis versehenen "Goethe-Galerie". Für 3 Euro konnten wir im Turm mit dem Lift in den 27. und dann weiter in den 28. Stock hinauf fahren und den Panoramablick genießen (Foto nach Norden).
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Ein schöneres Fleckchen ist der Marktplatz, das letzte erhaltene Ensemble der Altstadt. Das Bronzestandbild in der Mitte (Foto links) zeigt den Uni-Gründer Johann Friedrich den Großmütigen, genannt Hanfried, der den Schmalkaldischen Krieg und 2/3 von Sachsen sowie die Residenz an Weimar verlor. An der Ecke steht das alte Rathaus aus dem 13. Jh. mit seinen beiden parallelen Hallen mit Bogenöffnungen an den Schmalseiten und einem großen Saal darüber. An seiner Uhr entdeckt man den Schnapphans, eine Figur, die versucht, eine goldene Kugel zu schnappen.

Die spätgotische Stadtkirche St. Michael zeigt eine beeindruckte Schaufassade mit ihrem Baldachinportal und ihrem Westturm aus dem 13. Jh. Im Innern der dreischiffigen Halle befindet sich eine Steinkanzel, von der auch Martin Luther predigte, sowie seine originale Grabplatte. Der Altar ist untertunnelt, um einen Zugang zum Zisterzienser-Nonnenkloster zu ermöglichen.

Ein weiterer Wohlfühlort ist das Stadtmauerensemble mit Johannistor und Pulverturm (Bild mit Rundturm oben). Es zeugt von der historischen Wehranlage aus einst zwölf Meter hohen Mauern von zwei Kilometern Länge.

Wie wohl sich der Kandidat für das Amt des Ministerpräsidenten, Christoph Matschie (SPD), gefühlt hat, wissen wir nicht. Einige von uns haben seinen Worten und denen seines Wahlkreiskandidaten nahe unserem Hotel am Vorabend gelauscht, denn am 27. September wählt Thüringen einen neuen Landtag.

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