5.4 Jauer/Jawor
Jauer, eine Kreisstadt mit gut 24.000 Einwohnern, liegt rund 70 Kilometer westlich von Breslau an der Wütenden Neiße (Polnisch: Nysa Szalona). Das Stadtwappen zeigt den Schutzpatron, den Hl. Martin, Bischof von Tours, wie er auf einem Schimmel reitend seinen roten Mantel dem auf dem Boden sitzenden halbnackten Bettler reicht. Vor 1945 war das Wappen zweigeteilt und auf dem rechten Schild das rot-schwarze Schachbrett der Schweidnitzer Piasten zu sehen. Der polnische und alte deutsche Name Jawor bedeutet Ahornbaum.
Bildname
Bildname
Das genaue Datum der Gründung nach Magdeburger Recht ist unbekannt, aber beim Mongolensturm 1241 muss Jawor schon bestanden haben. Die Stadt lag an wichtigen Handels- und Militärstraßen aus Breslau, Striegau, Goldberg und Löwenberg. 1278 wurde Jauer Haupt- und Residenzstadt eines piastischen Herzogtums. Heinrich I., der "Jauersche", förderte seine Hauptstadt durch Privilegien. Sie bekam 1326 das sog. "Meilenrecht", welches u.a. das Brothandwerk und das Bierbraumonopol in der Stadt und den 35 umgebenden Dörfern einschloss, daneben den freien Salzhandel und eine eigene Gerichtsbarkeit.

Nach 1368 kam Jauer an Böhmen. Ab 1404 durfte man neben dem Donnerstags- auch den Samstagsmarkt abhalten, der dem Getreidehandel diente und bis 1939 bestand. Hussitenverbände verheerten das Land ab 1428.

Ab 1526 wurde Jauer habsburgisch, genau ein Jahrhundert später erschien Albrecht von Wallenstein und quartierte 1.200 Soldaten ein. Im Dreißigjährigen Krieg geriet die Stadt mehrere Male in die Hände gegnerischer Armeen; die Katholiken verjagten die protestantischen Geistlichen und die Schweden die katholischen.

Unabhängig von ihrem Bekenntnis plünderten und zerstörten alle, Österreicher, Schweden und Sachsen. Nach der schwedischen Kapitulation Mitte 1648 wurde die Stadt in Brand gesteckt; nur das Rathaus, die Kirche St. Martin, das Kloster und einige Bürgerhäuser am Ring blieben verschont. Die Stadt hatte nur noch 150 Einwohner. Die Gotteshäuser mussten den Katholiken übergeben werden und die Protestanten ins benachbarte Herzogtum Liegnitz ausweichen, um ihre Gottesdienste feiern zu können.

Der Preußenkönig Friedrich besetzte Jauer Anfang 1741. Das Schloss ließ er sieben Jahre später in eine Strafanstalt umwandeln, die es zwei Jahrhunderte lang blieb. 1776 suche ein großer Brand die Stadt heim; König Friedrich der Große besichtigte persönlich die Schäden, entsandte einen Baumeister und 106.000 Taler für den Wiederaufbau, der das heutige Aussehen der Stadt bestimmt. Das Fürstentum Jauer hörte 1806 auf zu bestehen und wurde zu einem preußischen Landkreis degradiert.

Am 13. und 14. Februar 1945 steckten sowjetische Soldaten das eroberte Jauer in Brand. Die wertvolle Bausubstanz an zwei Seiten des Rings ging zu Grunde. Von 1961 - 65 wurden hier wieder Häuser gebaut, aber nicht in historisch gerechtem Stil. 68

Die evangelische Friedenskirche "Zum Heiligen Geist" (polnisch Kosciól Pokoju pw. Swietego Ducha) gehört zu den bedeutendsten Sehenswürdigkeiten von ganz Schlesien (links). Sie steht seit 2001 mit der von Schweidnitz auf der Welterbe-Liste der UNESCO.

Wie in Schweidnitz wirkte hier der Breslauer Architekt Albrecht von Saebisch. Die Länge der Kirche ist 43,50 Meter, die Breite 14 Meter, die Höhe 15,70 Meter und die Fläche 1.180 Quadratmeter. Später um zusätzliche Emporen erweitert fasst sie zwischen 5.500 und 6.000 Besucher. Die heutige evangelische Kirchengemeinde zählt nur rund 40 Personen. Daher wird das Gotteshaus mit finanzieller Unterstützung aus Deutschland unterhalten, nachdem sie vollständig mit Mitteln der UNESCO, der Stiftung für deutsch-polnische Zusammenarbeit, der EU und der Familie von Richthofen erneuert wurde. 69  - Wir besahen dieses imposante Fachwerkgebäude am frühen Morgen nur von außen.
Bildname

5.5 Breslau/Wroclaw
Es gehört schon etwas Fantasie dazu, den deutschen und den polnischen Namen der Stadt auf denselben Ursprung zurück zu führen. Beide lassen sich vom vermutlichen Gründer, dem böhmischen Herzog Vratislav I., in Schlesien Wratislaw geschrieben, ableiten. In lateinischen Urkunden steht Vratislavia. 1266 wurde zum ersten Mal der Name Bresslau verwendet. Auch Preßlau taucht in alten deutschen Dokumenten auf. Die deutschen Schlesier sagten oft Prassel. Bei polnischen Schlesiern gab es aber immer auch den Namen Wroclaw.
Bildname

Das "W" steht auch im dritten der vier Felder des Stadtwappens. Im ersten Felde ist der böhmische Löwe zu sehen (mit dem typischen gegabelten Schwanz, aber zur Mitte blickend), im zweiten der schlesische Adler und im vierten das Haupt Johannes des Evangelisten (der mit mädchenhaften Haaren nach vorn blickt und dessen Oberkörper auf einer umgedrehten Krone steht). Im runden Mittelschild liegt, leicht geneigt, das Haupt des anderen Johannes, des Täufers (mit schwarzem Haar und Vollbart, mit geschlossenen Augen und geöffnetem Mund, in einer silbernen Schüssel). Dieses Wappen ist seit 1530, der Verleihung durch Kaiser Karl V., in Gebrauch, mit zwei Unterbrechungen: 1938 führten die Nationalsozialisten ein Zweifelderwappen ein, 1948 die polnischen Kommunisten ein anderes. Seit 1990 gilt das Traditionswappen wieder. 70

Der Name Wortizlawa wurde erstmals um 900 erwähnt und bezeichnete eine slawische Marktstadt. Diese lag auf einer Insel nahe den drei Nebenflüssen in die Oder. Der polnische Piasten-Herzog Boleslaw der Tapfere ließ um 1000 die erste Burg auf der Dominsel errichten, etwa an der Stelle der heutigen Martinskirche. Kurz darauf wurde von ihm mit dem Dombau begonnen, denn im Jahr 1000 hatte er das Bistum Wratislawa gegründet. In der befestigten Domstadt lebten etwa 1.000 Menschen.

Kaiser Heinrich V. schickte 1109 ein Heer gegen Herzog Boleslaw Schiefmaul, unterlag aber. 1138 wurde Wratislawa Hauptstadt des Teilfürstentums Schlesien. Die ersten deutschen Siedler kamen wenig später und ließen sich am Südufer an der Stelle der späteren Universität nieder. Hier erbauten sie um die neue herzogliche Burg eine neue Stadt von 1163 bis 1200. Die Stadt hat seitdem drei Zentren: die herzogliche Residenz mit der unter ihrem Schutz stehenden Judenstadt, die geistliche Stadt auf der Sand- und Dominsel und die neu angelegte deutsche Kaufmannsstadt um den Ring.

Im Mongoleneinfall 1241 wurde die Stadt zerstört. 1261 erhielt nunmehr Breslau das Magdeburger Stadtrecht von Herzog Heinrich III. Der Stadtgrundriss wurde in strenger Gitterform neu angelegt.
Bildname
Zwei große Brände verheerten 1342 und 44 die Stadt, die noch schöner wieder aufgebaut wurde. 1418 kam es zu einem Aufstand der Handwerker gegen die Patrizier, bei dem sieben Ratsherren ermordet wurden. Kaiser Siegismund schlug den Aufstand nieder und ließ 27 Anführer hinrichten. Von 1387 bis 1474 war Breslau Mitglied der Hanse, der Handel erreichte seine höchste Blüte (unten: Figur mit Kelch am gotischen Rathaus).

Trotz der Genehmigung von Wladislaw II. von Böhmen 1505 zur Gründung einer Universität wurde das Vorhaben nicht verwirklicht. 1523 zog die Reformation in Breslau ein.

Während des Dreißigjährigen Krieges wurden 1632 Teile der Stadt von sächsischen und schwedischen Truppen besetzt gehalten. Im Jahr darauf scheiterte der Versuch, sich von Habsburg zu trennen und freie Reichsstadt zu werden. In diesem Jahr wütete die Pest, von 40.000 Einwohnern starben 18.000.

Im 1. Schlesischen Krieg belagerte das Heer Friedrichs des Großen die Stadt, die im August 1741 kapitulierte und im November dem Preußenkönig huldigte. Im Siebenjährigen Krieg gewannen im November 1757 die Österreicher die sog. Schlacht von Breslau, so dass die Stadt von den Preußen heraus gegeben werden musste. Vor Weihnachten, nach der siegreichen Schlacht von Leuthen, kehrten die Preußen zurück.

1807 eroberten die Rheinbundtruppen Breslau. Die Festungen wurden geschleift, fast alle Stifter und Klöster säkularisiert. 1813 wurde Breslau zum Ausgangspunkt der Befreiungs-Bewegung gegen Napoleon Bonaparte. König Friedrich Wilhelm III. erließ seinen Aufruf "An Mein Volk".

Mitte des 19. Jhs. begann die Industrie zu entstehen: Mühlen- und Braubetriebe, Brennereien, chemische und Metall-Industrie, auch Bekleidungs-, Möbel- und Papierfabriken. 1840 wurde Breslau mit 100.000 Einwohnern Großstadt. Die ersten Eisenbahnlinien waren: Breslau - Ohlau 1843, Breslau - Dresden 1845 und Breslau - Freiburg 1846.

Durch zahlreiche Eingemeindungen wurde um 1900 eine Einwohnerzahl von einer halben Million erreicht. Zeitweise war Breslau neben Leipzig die fünftgrößte Stadt im Deutschen Reich. 57 % waren evangelisch, 36 % katholisch. Um 1910 sprachen 96 % Deutsch und nur 3 % Polnisch.

Nach der Teilung Schlesiens 1919 wurde Breslau Hauptstadt von Niederschlesien. 1938 wurde in der Reichspogromnacht die Neue Synagoge zerstört, die neben der Hauptsynagoge in Berlin zu den prächtigsten in Deutschland zählte. Die Breslauer jüdische Gemeinde war vor 1933 die drittgrößte in Deutschland gewesen. 1933 war ihre Mitgliederzahl schon auf etwa 20.000 gesunken, die sich bis Kriegsbeginn halbierte. 71

Im Oktober 1944 erreichten die ersten alliierten Langstreckenbomber auch Breslau, das bislang als "Reichsluftschutzkeller" gegolten hatte. Obwohl die Stadt als Festung gänzlich ungeeignet war, wurde sie zur solchen erklärt. Am 19. Januar 1945, sieben Tage nach dem Durchbruch der Roten Armee an der Weichsel, erging der Evakuierungsbefehl, Panik brach aus. Drei Viertel der Einwohner flohen in Richtung Böhmen oder Sachsen, mangels Transportmittel über 100.000 zu Fuß durch hohen Schnee. Am 15. Februar war Breslau eingekreist. Etwa 150.000 Einwohner und 40.000 Soldaten waren in der Stadt. In Straßenkämpfen wurden Häuser gesprengt, um den sowjetischen Divisionen keine Deckung zu geben. Erzählt wird sogar, dass Eckbauten an Straßenkreuzungen zunächst die Dachbalken abgenommen, damit das Erdgeschoss verstärkt, anschließend die Obergeschosse gesprengt und auf dem Schuttberg Geschütze aufgestellt wurden. In Breslau wurde nicht nur um jedes Haus, Stockwerk oder Zimmer gekämpft, sondern um jedes Fenster. Am 7. Mai kapitulierte die Stadt, 65 bis 80 % der Gebäude waren Ruinen, davon 400 bekannte Baudenkmäler. Das historische Rathaus und viele Häuser am Ring trugen nur geringe Schäden davon. Am 9. Mai übergaben sowjetische Militärbehörden die Stadt an Polen. Im Kampf kamen insgesamt 170.000 Zivilisten, aber nur 6.000 deutsche und 7.000 sowjetische Soldaten ums Leben. 72

Im Mai und Juni kehrten viele geflohene Breslauer in Unkenntnis der Beschlüsse von Jalta in ihre Stadt zurück. Im Juli waren wieder etwa 300.000 deutscher Einwohner hier. Sie wurden schrittweise zunächst ausgehungert und vertrieben, später zwangsweise ausgesiedelt. Polnische Siedler kamen vornehmlich aus Zentralpolen; stärker ins öffentliche Bewusstsein traten polnische Vertriebene aus Lemberg/Lwów und anderen Ostgebieten.

Am 6. März 1946 wurde "jegliches Vermögen" der deutschen Bewohner einschließlich Wohnungen und deren Einrichtungen enteignet. Im Sommer lag die Zahl der Polen bei etwa 30.000, die der Deutschen mit fallender Tendenz noch darüber. Bereits 1948 lebten 300.000 polnische und nur noch 7.000 deutsche Einwohner in der Stadt.
Bildname

Der Wiederaufbau der Altstadt begann erst 1955. In Vorstädten entstanden diverse Wohnsiedlungen in Plattenbauweise. Ab 1990 nahm man sich auch dezidiert deutschen Kulturerbes an und integrierte es in die nunmehr polnische Lokalidentität.

Heute ist Wroclaw eine sehr junge und lebendige Stadt mit über 130.000 Studenten bei etwa 636.000 Einwohnern. Die "Uniwersytet Wroclawski/Universitas Vratislaviensis" ist mit 43.000 Studierenden die größte Bildungseinrichtung der Stadt, gefolgt von der "Politechnika Wroclawska" (Technische Hochschule) mit 35.000 Studenten, der "Adademia Ekonomiczna" (Wirtschaftshochschule) mit 18.000 Studenten, der "Akademia Rolnicza we Wroclawiu" (Landwirtschaftshochschule) mit 13.000 Studenten u. a.  

Wroclaw ist ein Kulturzentrum. Theater, Oper, Musiktheater, die Philharmonie, zahlreiche Clubs, Museen und Galerien sorgen für pausenlose Unterhaltung. Die schlesische Hauptstadt ist Zentrum zahlreicher Ausstellungen und Messen, die meist in der Jahrhunderthalle statt finden. Die viertgrößte polnische Stadt hat auch die meisten Grünflächen pro Einwohner, und zwar rund 25 Quadratmeter pro Person.  

Nahe dem Stadttheater, einem Bau von Carl Ferdinand Langhans von 1841 (nach Bränden von 1865 und 71 jeweils wieder aufgebaut) parkten wir gegenüber vom Hotel Monopol. Dieses einstige Grandhotel hatte kein Dach - gut, dass wir nicht wie ursprünglich geplant darin untergebracht waren. Vor einigen Jahren wohnten wir mit einer Gruppe noch dort und wunderten uns über den plüschigen Charme aus der KuK-Zeit - mit ebenso altmodischen Kellnern.
Bildname
Im Herzen der Innenstadt erhebt sich mit mächtigem gotischen Ziergiebel das Rathaus. Es zählt zu den wunderbarsten gotischen Gebäuden nicht nur Schlesiens, sondern ganz Europas. In drei Bauabschnitten, seit dem frühen Mittelalter zusammen gefügt und immer wieder verschönt und neu bereichert, trug das herrliche Rathaus die Kunde stolzen alten Bürgertums und edelster Kunst. Unter dem gotischen Treppengiebel, von Blenden umfangen, lugt der von einem kleinen Giebel bekrönte große Erker hervor, daneben mit schlanken Fenstern ein Nürnberger Chörlein. Hinter der Backsteinfront dehnt sich, von gotischen Gewölben umklammert, der Festsaal des Rathauses, der Remter. Er und der Fürstensaal, die Erker und Fassadenfiguren zeigen Meisterwerke der Architektonik und Skulptur.

Die Ostseite des Bauwerks reißt den Blick des Beschauers himmelwärts und übt "eine eminent malerische Wirkung als Prachtstück mittelalterlicher Rathäuser" aus.  

Die Straße rund um das Rathaus trägt den Namen Ring (Rynek) und schließt mit der berühmten, restaurierten Sieben-Kurfürsten-Seite. Das Haus der sieben Kurfürsten ist heute nur eine bemalte Putzfassade, die Steinfiguren verschlang der letzte Krieg. An der Längsseite, nahe dem Eingang zum Schweidnitzer Keller unter dem Rathaus, steht das Denkmal für Aleksander Fredry, einem Dramatiker, das aus Lemberg mitgebracht wurde.
Bildname

An der rechten Ecke des Ringes (Bild oben, Hintergrund) hinter einem kleinen ummauerten Hof ragt die gotische Hauptkirche Sankta Elisabeth aus dem 13. und 14. Jh. mit dem Turm von 1458 auf. Nach einem Brand von 1976 wurde das Gotteshaus bis 1988 wieder hergestellt. Wir traten ein in den bestens renovierten Kirchenraum. Die Pfarrkirche Sankta Maria Magdalena stammt aus dem 13. und 14. Jh. Kapellen wurden um 1400 angebaut, die Türme 1488 vollendet. An der Südseite finden wir ein romanisches Stufenportal aus dem ehemaligen Benediktinerkloster auf dem Elbing nördlich der Dominsel. 76
Bildname
Breslau lag an der Salzstraße, also gab es einen Salzmarkt. Später wurde er in Blücher-Platz umbenannt - nach dem "Marschall Vorwärts" war das vorwärts weisende Standbild in Stein gegen Napoleon gerichtet. Inzwischen ist der Platz einfach der "Neue Markt". An seiner Südseite steht die Alte Börse. Westlich des Salzmarktes breitet sich das Rokoko-Schloss aus. Friedrich II. kaufte 1750 das Palais des Freiherrn von Spätgen und baute es zu einer Königsresidenz aus.

1811 wurde die Universität (links im Bild) Viadrina aus Frankfurt (Oder) nach Breslau verlegt und mit der dortigen Jesuiten-Hochschule vereinigt. Sie trug von da an den Namen Schlesische Friedrich-Wilhelms-Universität. Der Preußenkönig hielt sich an die Idee des Philosophen Wilhelm von Humboldt: aus dem Zusammenschluss einer evangelischen und einer katholischen Hohen Schule eine "Simultane Hohe Schule" zu formen. Evangelisch war die Viadrina von 1506 aus Frankfurt, katholisch die 1702 aus der Taufe gehobene "Leopoldina". 77 Der Habsburger Kaiser Leopold beförderte einst ein Gymnasium in den Universitätsrang. Das Jesuiten-Kolleg und seine Kirche wurden von 1689 - 98 errichtet. In preußischer Zeit ging die katholische Universität langsam ein, wie uns Prof. Matthée erklärte.

Im Obergeschoss des Hauptgebäudes treten wir ein in einen der größten Barocksäle Europas: die "Aula Leopoldina". Dieser verschwenderisch ausgeschmückte Saal edler Linienführung und Farbtönung - für den wirklich weit gereisten Matthée eine der schönsten Aulen der Welt - wirkt anheimelnd, hier könnte ich stundenlang verweilen.
Bildname
Bildname
Leider störten uns Studenten mit ihren Aufbauarbeiten auf der Bühne und mit Ohrenschmerz auslösender Cello-Übung. Nah des Uni-Hauptgebäudes, nur durch eine Fahrstraße von der Oder getrennt, steht das Ossolineum, der Barockbau des einstigen Spittelordens. Die Büchersammlung des 1817 gegründeten Ossolineums aus Lemberg/Lwów wurde 1946 hierher überführt.

Die Sandkirche, Sankta Maria auf dem Sande, auf einer Oderinsel, schmückt ein romanisches Tympanon. An der Stelle eines Vorgängerbaus aus dem 12. Jh. wurde sie von 1334 bis 1425 errichtet. Die riesigen Fensterreihen mit ihrem neuen Buntglas von 1966 tauchen das Gotteshaus in ein helles, magisches Licht (Foto unten). In den Gebäuden des ehemaligen Augustiner-Klosters von 1709 - 30 ist heute ein Teil der Universitäts-Bibliothek unter gebracht. Es schließt sich die Kreuzkirche, genauer die Kollegiatskirche Heiliges Kreuz, an, eine dreischiffige, zweigeschossige Hallenkirche aus dem 13. und 14. Jh.

Wieder auf dem Festland, nördlich der Oder, ragt der Dom St. Johannes der Täufer mit seinem steinernen Gewand auf. Die Häuser der Kurien und Domherren und das Erzbischöfliche Palais (heute mit Erzdiözesan-Museum) säumen, ganz in Barock gegossen, die Straße zum Dom. Gotische und auch noch romanische Züge drängen sich um das Portal. Plastischer Schmuck, gotische Formen, schimmern unter der steilen Front der Türme, die in zwei mächtigen Armen aufragen.

Der Dom, gotisch schlicht, wird von barocken Kapellen umkränzt, die "dem Backsteindom wie angeklebte Schwalbennester" anhängen. In einem Winkel dunkelt das Epitaph auf den Bischof Johann Roth, eine Arbeit des Nürnberger Erzgießers Peter Vischer. Im Chor wieder ragt ein altes Gestühl auf, das früher in der Breslauer Vinzenzkirche zu Füßen der Tumba von Herzog Heinrich II. stand.   Auch wir fanden den Dom sehr düster, besonders im Chor; auf die modernen Buntglasfenster hätte man besser verzichtet.

Östlich der Kaiserbrücke standen einst Häuserzeilen entlang der Kaiserstraße. An ihrer Stelle wurde im Winter 1945 vorwiegend von Frauen und Mädchen ein improvisiertes Flugfeld angelegt, vorgeblich um die Stadt aus der Luft versorgen zu lassen. Wenige Stunden vor der Kapitulation setzte sich NS-Gauleiter Karl Hanke per Leichtflugzeug, dem einzigen, das hier je startete, aus der belagerten Stadt ab. Zuvor hatte er die sofortige Erschießung aller angedroht, die aus der "Festung" zu fliehen versuchten. Die Kaiserbrücke, eine mächtige Hängebrücke von 1910, steht noch heute; nur einige Dellen auf ihren genieteten Stahlträgern deuten auf Bombeneinschläge hin (Brücke heißt jetzt Most Grunwaldzki, Straße Plac Grunwaldzki). - Mit diesem düsteren Kapitel der Stadtgeschichte schloss unser Besuch der Stadt auf ihren zwölf Inseln mit 112 Brücken.

Leider nicht gesehen haben wir ein Weltkulturerbe der UNESCO: die Breslauer Jahrhunderthalle. Sie wurde von Max Berg und Günther Traue 1911 - 13 als erster Stahlbetonbau Deutschlands errichtet. Zehntausend Menschen kann der Kuppelbau umfassen.
Bildname
5.6 Schömberg/Chelmsko Slaskie
Der kleine Ort mit etwa 2.200 Einwohnern in der Nähe von Liebau wurde vermutlich 1214 von böhmischen Tuchmachern gegründet. Schömberg galt als "Stadt des deutschen Handwebers". Der weite, zum Teil mit Gras bewachsene Marktplatz mit Laubenhäusern, die allerdings sehr verwittert sind, wirkt schon städtisch. Doch die rechtwinklig abgehenden Straßen enden bald am Stadtrand.

Entlang einer Straße des Städtchens ziehen sich die "Zwölf Apostel" hin, Weberhäuser von 1707 mit hölzernen Giebellauben, erbaut im frühen 18. Jh. Wir zählen nach - es sind nur elf. Einige Reihenhäuser - mit Alpenveilchen auf den Fensterbrettern - stehen leer, in anderen wohnen alte Leute - und in einzelnen werden Textilien gezeigt und auch Handarbeiten verkauft.
Bildname

5.7 Waldenburg/Walbrzych
Waldenburg, etwa 65 Kilometer südwestlich von Breslau, bildet mit etwa 127.000 Einwohnern das Zentrum des niederschlesischen Steinkohlenreviers. Von 1946 bis 1998 war Walbrzych Sitz einer Woiwodschaft. Der heutige Name leitet sich vom volkstümlichen "Walmbrich" oder "Walbrich" ab, eine sinngemäße polnische Übersetzung wäre Lasogród.

Die älteste Erwähnung stammt aus dem 12. Jh. als slawische Siedlung mitten im Wald, das Gründungsdatum wird um 1290 angegeben. Stadtrechte wurden vor 1426 verliehen. Seit 1366 werden Silber, Blei und Kohle abgebaut. Im 16. Jh. wurde Waldenburg ein Zentrum der Tuch- und Leinenweberei. Im 18. Jh. nahm der Bergbau einen starken Aufschwung. 1869 wurde der bis dahin größte Streik auf deutschem Boden mit über 7.000 Streikenden registriert. Dieser Streik blieb erfolglos, radikalisierte jedoch die Bewegung der Arbeiter und Gewerkschaften.
Bildname
Bildname
Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden die noch nicht geflohenen Einwohner vertrieben, soweit sie nicht im Bergbau benötigt wurden. Bergleute durften das Land bis Ende der 50er Jahre nicht verlassen. In den letzten Jahren haben Autohersteller und -zulieferer in Walbrzych investiert, das auch ein Zentrum der Keramik-Herstellung ist. 79

Der historische Markplatz wurde von 1997 - 99 renoviert. Die barocken Bürgerhäuser sehen wieder schmuck aus, der Platz wirkte sehr belebt an dem sonnigen Mittag, den wir hier mit "wielki pivo", einem großen Bier, verbrachten. Und: zwei besonders große Häuser einander schräg gegenüber gehören der PKO, der polnischen Staatssparkasse.

zurück   Übersicht   weiter