2.3 Crivitz
Crivitz - der Name einer stillen, typisch mecklenburgischen, Landstadt rund 20 Kilometer östlich von Schwerin, verrät slawischen Ursprung und bedeutet "Ort an der Krümmung". Diese Biegung ist wohl der Lage auf einer Halbinsel am Crivitzer See zu verdanken. Die Stadt wurde auf fast kreisförmigem Grundriss wahrscheinlich 1251 um eine damalige slawische Wasserburg von den Grafen von Schwerin gegründet. Die erste urkundliche Erwähnung als "oppidum", also Stadt, durch das Schweriner Domkapitel datiert von 1302. 15
Bildname
Bildname
Die evangelische Stadtkirche St. Georg beherrscht mit ihrem Turm und dem hohen Kirchenschiff eindrucksvoll das Stadtbild. Der bestehende Backsteinbau wurde wohl Ende des 14. Jh. errichtet. Einschneidend wirkte sich der verheerende Stadtbrand von 1660 aus, dem neben 66 Häusern auch die Schule, die beiden Predigerhäuser sowie Dach und Turm der Kirche zum Opfer fielen.

St. Georgen ist eine dreischiffige Hallenkirche von drei Jochen. Im Osten schließt sich in Mittelschiffbreite ein niedrigerer Chor mit polygonalem, d. h. mehreckigem, Abschluss an.

Die Mittelachse ist leicht nach links verschoben, was mit der Neigung des Hauptes Jesu in seiner Sterbestunde erklärt wird. Nördlich ist die Sakristei mit Kreuzrippengewölbe angefügt. Der Westen wird bestimmt von einem wuchtigen Turm auf querrechteckigem Grundriss. Er ist 40 Meter hoch, hat drei Etagen und ein für Mecklenburg untypisches Walmdach. Die drei Schiffe werden von kräftigen Achteckpfeilern getrennt. Das hölzerne Imitationsgewölbe mit Putzbewurf wurde Mitte des 19. Jh. eingezogen. Der lichte Chorraum wird von einem spätgotischen Netzgewölbe aus dem 15. Jh. bestimmt. Den Innenraum erklärte uns Pastor Rainer Höpfner, der seit 1992 diese Pfarrstelle innehat.

Das wirklich Besondere in der Kirche sind aber die Fresken im Chor. Die acht Apostelgestalten zwischen den Fenstern des Chores stammen wohl von etwa 1380. Die szenischen Darstellungen sind etwa ein halbes Jahrhundert jünger, und zwar:
An der Südwand: Jesu Geburt und Hirtenszene, zweimal Jesus im Tempel (Lukas 2,22-40 bzw. 2,41-52).
An der Nordwand: eine Frau mit Kind, Jesus und Maria Magdalena am Ostermorgen (Joh. 20,11-18), das Sakrament der Beichte (Joh. 20,19-23), die Schutzmantel-Madonna.
An der Südseite unten bei der Treppe zur Empore: Johannes der Täufer und der Hl. Laurentius.
In der Renaissance kamen weitere Fresken hinzu, und zwar:
An der Südwand: der Paradiesgarten als Erdscheibe.
An der Nordwand: Schrifttafeln mit Beschlagwerk (Text Weltgericht Matt. 25).
Im Hauptschiff an der Südwand ist ein riesiges Lutherbild mit der lateinischen Unterschrift, die in etwa so übersetzt wird: "Als ich lebte, war ich eine Pest für dich, sterbend werde ich dein Tod sein, Papst."
Bildname
Bildname
Bildname

Das Bildprogramm wurde im 19. Jh. stark ergänzt. Von 1952 - 55 bekam die Kirche einen Schönheitsanstrich. Dabei wurden die Wandfresken frei gelegt. Leider retuschierte der Restaurator einige der Bildmotive und interpretierte sie neu. Die Freilegung der Wandfresken ist teuer, ein Bogen kostet etwa 18.000 Euro, wofür die Kirchengemeinde mit einem "Flyer" und Überweisungsschein Spenden sammelt.

Die Kalkstein-Fünte, also das Taufbecken, mit seinem Diamantschmuck aus dem 13. Jh. ist wohl das älteste Ausstattungsstück. Zeitweise wurde an ihrer Stelle ein barocker hölzerner Taufständer benutzt. Der leidende Christus am Kreuz blickt wieder wie im 15. Jh. auf die Gemeinde herunter. Der Schnitzaltar von etwa 1520 wurde vor einem halben Jahrhundert von der Stadtkirche Teterow übernommen. Vorher stand hier ein Altar mit einer Kopie eines Gemäldes von Correggio, welche dem Herzog abgeschwatzt wurde, die heute unten im Turm steht. Die Renaissance-Kanzel von 1621 ist eine reiche Schnitzarbeit aus Wittenburg mit viel figürlichem Schmuck. 16 Der tragende Moses hat Hörner, was auf einem Übersetzungsfehler aus der hebräischen Konsonantenschrift beruht, es muss aber "Erleuchtung" heißen. Das Chorgestühl ist alt, nur sein Aufbau ist neogotisch.

Die Neueindeckung des Daches von 1990 erwies sich als instabil, die Ziegel waren zu leicht und einige flogen bei jedem Sturm davon. So musste 1995 grundlegend restauriert werden. Dabei kam zur bösen Überraschung heraus, dass nicht nur das Mauerwerk brüchig, sondern die gesamte hölzerne Dachkonstruktion vom Echten Hausschwamm befallen war, so dass Kirchturm und Chorgewölbe der Einsturz drohte. Die Arbeiten kosteten rund 1,5 Mio. D-Mark, die von der Kirchengemeinde mit der Stadt, der Evangelischen Landeskirche Mecklenburgs und dem Land Mecklenburg-Vorpommern aufgebracht wurden. Auch zahlreiche Crivitzer Bürger spendeten. Die Deutsche Stiftung Denkmalschutz beteiligte sich mit 326.000 D-Mark. 17

2.4 Güstrow
"Güstrow liegt in einer etwas niedrigen Gegend, daher kann man es in großer Entfernung nicht sehen ... Die Stadt hält nicht völlig 3 viertel Meilen im Umfange; allein sie ist ungemein volkreich und man hält sie für eine der besten in Meklenburg." Dies schrieb der englische Gelehrte Thomas Nugent 1766. 18
Bildname

Ob das ü im Namen der Stadt eher lang oder kurz zu sprechen sei, beantwortete Frau Heidi Büttner so: Man habe ihr erklärt, "Güstrow" sei bellend auszusprechen. Mit den Neubaugebieten "Südstadt" und "Distelberg" wurden von 1958 - 85 Wohnungen für etwa 15.000 Bürger hochgezogen. Bei der Kreisgebietsreform kamen die Altkreise Bützow und Teterow zu Güstrow, das Kreisstadt mit damals noch 36.500 Einwohnern (heute etwa 5.000 weniger) blieb.

Fürst Heinrich Borwin II. von Rostock gründete Guztrowe mit dem Schweriner Stadtrecht. 1226 stiftete der Stadtgründer den Dom als Kollegiatskirche. Damit wollte er die Christianisierung des mittelmecklenburgischen Raumes, genannt Circepanien, und den Zuzug deutscher Siedler fördern. Heinrichs Söhne bestätigten 1228 das Stadtrecht in der ältesten erhaltenen Urkunde. 19

Von 1229 bis zum Aussterben der Linie 1436 blieb Güstrow Residenz der Herren zu Werle, die ihre alte Stammburg nach und nach aufgegeben hatten. Drei große Stadtbrände in einem Jahrzehnt, 1503, 1508 und 1512, vernichteten die Stroh- und Lehmhäuser. Nur Burg, Dom, Gertruden-Kapelle und einige Häuser am Ziegenmarkt blieben erhalten. Von 1556 bis 1695 war Güstrow erneut Residenz, jetzt der Herzöge von Mecklenburg.

Die Justizkanzlei am Schlossplatz, jetzt Franz-Parr-Platz, wurde 1823, das Theater als eines der ersten in Mecklenburg 1828 im klassizistischen Stil errichtet. Hier begann übrigens Hans Albers seine Schauspieler-Karriere. Mitte des 19. Jh. wurde Güstrow modern: 1850 bekam die Stadt Bahnanschluss und Bahnhof, 1852 ging das Gaswerk in Betrieb, 1854 kam die Telegrafenstation dazu. Die erste Zuckerfabrik entstand 1883, 1892 nutzten die ersten 28 Teilnehmer die "Stadtfernsprecheinrichtung". Elektrischer Strom wurde 1912 eingeführt. 20Der einstige herzogliche Pferdestall aus Fachwerk mit Ziegelausmauerung wurde im 19. Jh. Wollhalle und im Jahr 2000 städtische Galerie.

Die Gertruden-Kapelle bekam während unseres Besuchs eine neue Dachhaut. Auch innen an der rechten Chorwand stand ein Gerüst. Hier wurde gerade ein Wandfresko frei gelegt (unten links). Dabei fiel auf, dass im Mauerwerk an den Fenstern bisher kaum sichtbar Fachwerkteile hervor kommen - wie sie auch in der St.-Georgs-Kapelle in Neuruppin vermutet und inzwischen frei gelegt wurden.
Bildname
Der Bildhauer, Zeichner und Dramatiker Ernst Barlach siedelte von 1910, als er 40 Jahre alt war, aus dem Trubel und er Hektik der Großstadt Berlin nach Güstrow über, wo er bis zu seinem Tod 1938 lebte. Seine Arbeiten werden in seinem Atelierhaus am Heidberg hinter dem Inselsee, in Erweiterungsbauten von 1998 und 2003 sowie in der Gertruden-Kapelle ausgestellt. 21
Bildname

Eine Reise nach Russland 1906 beeinflusste sein Schaffen stark. "Russland gab mir seine Gestalten...", äußerte er selbst. Bauern und Bettler, Unterdrückte und Arme bestimmten fortan seine ausdrucksstarke, spröde Figurenwelt.

Die Nationalsozialisten zwangen Barlach zum Schweigen, diffamierten und ächteten ihn. Der tiefe Humanismus, eine Menschlichkeit, die über Entmündigung, Qual und Erniedrigung triumphiert, widersprach ihrer Ideologie. Seine Werken wurden als "entartet" aus Kirchen und Museen entfernt. 22

Am Nebeneingang ist jüngst eine Plakette angebracht für Marga Böhmer, die Lebensgefährtin Ernst Barlachs. In ihrem Haus neben dem Atelier am Inselsee wohnte der Künstler. Frau Böhmer selbst wohnte, wie uns Frau Büttner erzählte, Jahrzehnte lang im Dachstuhl der Kapelle in allereinfachsten Verhältnissen ohne Strom und Wasser und galt als schrullige alte Frau, bevor sie 1969 starb.
Bildname
Marga Böhmer, selbst Bildhauerin, hatte wesentlichen Anteil an der Errichtung der Gedenkstätte in der Gertruden-Kapelle 1953. Ihrem selbstlosen Einsatz ist es zu danken, dass der Wunsch Barlachs, an diesem würdigen Ort seine Werke ausgestellt zu wissen, in Erfüllung ging. 23

Mich selbst sprachen von den Skulpturen am meisten an "Der Zweifler" (rechts), "Lesender Klosterschüler", "Frau im Wind" (links), "Gefesselte Hexe", "Der Apostel" und "Das Wiedersehen". Fotografieren kostet wie bei meinem ersten Besuch 1993 immer noch Geld, worauf jeder mit Kamera in der Hand explizit angesprochen wird; der Preis ist mit 1,25 Euro aber moderat.
Bildname

Die Stadtpfarrkirche St. Marien als Gotteshaus der Bürger wurde 1308 erstmals erwähnt (rechts). Nach dem Stadtbrand von 1503 wurde die gotische Backsteinbasilika rekonstruiert und Ende des 19. Jh. zur heutigen dreischiffigen Hallenkirche umgebaut. 24 Der Brüsseler Altar von Jan Borman ist das wertvollste Ausstattungsstück, das leider nicht fotografiert werden darf. Die Reliefs auf der Vorderseite zeigen im Mittelschrein die Kreuzigung, auf den Flügeln Szenen aus Leben und Passion Christi, in der Predella Christus und die 12 Apostel sowie im Aufsatz den Schmerzensmann, die Gottesmutter Maria und zwölf weibliche Heilige.
Bildname
Bildname
In der ersten Wandlung werden die bemalten Rückseiten von Bernaert van Orley sichtbar; sie stellen Maria und die Verkündigung sowie die Hl. Katharina dar. Im geschlossenen Zustand sind die Apostel Petrus und Paulus zu sehen.

Hinter dem Chor der Pfarrkirche, wie diese im Marktplatz stehend, breitet sich die klassizistische Fassade von 1798 des Rathauses aus, die vier ältere Häuser verbindet.

Der Dom St. Maria, St. Johannes Evangelista und St. Cäcilia, wurde vom christlichen Wendenfürst Heinrich Borwin II. 1226 auf seinem Totenbett gestiftet. 1335 weihte Bischof Cono von Cammin den Dom (links).

Das Nordportal ist noch romanisch. Der angrenzende Domhof, die einstige Domfreiheit, gehörte bis zur Reformation administratorisch nicht zur Stadt. Gegenüber vom Dom steht die alte Domschule, die einen frischen Anstrich mit Renaissance-Säulen erhalten hat. Die Domschule in Güstrow besteht bereits seit 450 Jahren und hat damit das älteste noch erhaltene Schulgebäude Mecklenburgs. Rechts von ihr über Eck steht aus Backstein das Stadtpalais für Joachim von der Lühe, dem Kanzler Wallensteins.
Bildname

Die gotische, dreischiffige, kreuzförmige Basilika ist 70 Meter lang, 24 Meter hoch bis zum Dachfirst und hat einen 44 Meter hohen Turm. Im 14. Jh. entstanden Kapellen in den Seitenschiffen. Ein Jahrhundert später wurde an Stelle des alten Altarraumes ein nach links abgeknickter neuer Chor errichtet mit einem Fünf-Achtel-Schluss. Langhaus und Querhaus wurden eingewölbt.

Der Dom wird heute durch das Südportal betreten. Rechts an der Wand hängt ein gotisches Triumphkreuz von 1370 aus Eichenholz mit den Symbolen der vier Evangelisten. Gegenüber, im Nordquerhaus, steht die große frühgotische Fünte, das Taufbecken, aus schwedischem Muschelkalk. Im Altarraum steht rechts der sog. Levitenstuhl von 1430. Aus seinen Wangen aus Eichenholz sind die Weihnachts- und Passionsgeschichte geschnitzt. Der Klappaltar von Hinrik Bornemann aus Hamburg zeigt im Mittelfeld die Kreuzigungsgruppe, zu beiden Seiten stehend oder sitzend Apostel, Heilige und Märtyrer. Den Altar haben die herzoglichen Brüder Magnus II. und Balthasar um 1490 gestiftet (unten).
Bildname

Mit der Reformation wurde das Domkapitel 1552 aufgehoben. Die Stiftskirche wurde Begräbnisstätte der Herzöge. Herzog Ulrich III. ließ 1574 eine Gedächtnis-Tumba im Chorraum aufstellen. An der nördlichen Chorwand finden wir drei riesige Epitaphe im Renaissancestil. Der eine, das Wandgrab Heinrich Borwins II., stellt den Stammbaum des Hauses Mecklenburg dar, der zweite daneben den der 1575 verstorbenen Herzogin Dorothea. Noch zu seinen Lebzeiten ließ Herzog Ulrich, der 1603 starb, sein eigenes Epitaph, das Ulrichmonument, errichten.
Bildname
Die drei knienden Figuren an ihren Betpulten zeigen den Herzog, hinter ihm seine erste Ehefrau Elisabeth von Dänemark (im Foto links) und dahinter seine zweite Gattin Anna von Pommern. Diese Epitaphien sind das Hauptwerk des Niederländers Philipp Brandin, der von 1563 - 94 am Güstrower Hof tätig war.

In den Arkadenbögen des Mittelschiffes stehen die wegen ihrer Lebendigkeit bekannten hölzernen 12 Apostel-Figuren von Klaus Berg aus Lübeck von 1530.

Die Sandsteinkanzel von 1565 von Johann Parr, dem Bruder des Schlossbaumeisters, zeigt als Relief: Den 12-jährigen Jesus im Tempel, Johannes tauft Jesus, und die erste Predigt des Petrus.

Im nördlichen Seitenschiff, das als Winterkirche abgeteilt ist, über einem Gitter von 1600 von einer Taufe, hängt er, der "Schwebende" von Ernst Barlach. "Die Hände über der Brust gekreuzt, alles Leid der Erde in sich aufnehmend, schwebt die Gestalt dahin. Aber es ist kein zielloses, kein ruheloses 'Schweben', sondern eine stetige Bewegung zu dem hin, von dem alles Leid mit Sinn erfüllt ist und von dem alle Tränen getrocknet und alle Schmerzen gelindert werden. Es passt zu diesem Werk, dass es nicht in strahlender Helle, sondern im Halbdunkel seinen Platz hat." 25
Bildname
Die heutige Figur mit den Gesichtszügen von Käthe Kollwitz ist ein Drittguss aus Bronze. Den Zweitguss bewahrt die Antoniterkirche in Köln, während das Original als Buntmetall für Rüstungszwecke eingeschmolzen wurde. Dieses Kunstwerk schenkte Barlach 1927 der Domgemeinde als Mahnmal für die Gefallenen des Weltkrieges. - Ob Barlach von den großen Zeppelinen am Himmel zur "Schwebenden" animiert wurde, wie einige von uns spekulierten, ist nicht belegt.

Von 1865 an wurde der Dom im neogotischen Stil letztmalig umfassend renoviert. Das Altersgrau sieht man den Gewölben mit etwas Schaudern an. Die große Orgel hat Hermann Lütkemüller aus Wittstock 1868 gebaut, sie wurde 1986 restauriert und hat 2.121 Pfeifen, drei Manuale und 37 Register.

1219 wurde hier an der Stelle des jetzigen Schlosses in sumpfigen Wiesen eine wendische Burg erbaut. Die Burg wurde mit dem Ruppiner Machtspruch von 1556 Herzog Ulrich III. zugeordnet, während sein Bruder Johann Albrecht seine Residenz nach Schwerin verlegen musste. Die Burg fiel ein Jahr später einem Brand zum Opfer.

zurück   Übersicht   weiter