3.9 Lemgo
Um 1190 wurde Lemgo von Bernhard II. gegründet und war wegen seiner Lage am Kreuzungspunkt zweier wichtiger Handelswege für lange Zeit die größte und bedeutendste Stadt Lippes. Sie erhielt 1245 Stadtrecht und kam durch ihre Zugehörigkeit zur Hanse zu ansehnlichem Wohlstand. Bereits 1215 begannen die Bürger mit dem Bau der dem Kaufmannspatron St. Nikolaus geweihten Stadtkirche.

Schon ab 1250 entstand im Süden angrenzend die selbständige Neustadt. Während die Altstadt vom Land besitzenden Patriziat geprägt war, bewohnten von Anfang an hauptsächlich Handwerker die Neustadt. Die Neustadt erhielt vom Edelherrn Simon I. 1283 die gleichen Rechte wie die Altstadt. 1365 wurden Alt- und Neustadt durch Simon III. vereinigt.
Bildname

Die einst dicht bevölkerte Stadt war ein Zentrum des Tuch-, Leinen- und Garnhandels. 1527 trat der Fürst zur Lippe zum evangelisch-reformierten Bekenntnis über, so dass in Lippe nach dem Prinzip "cuius regio, eius religio" die Untertanen folgten. Das außerhalb der Stadt gelegene Schloss Brake wurde 1584 Residenz der Grafen zu Lippe. Im ausgehenden Mittelalter wurde die Stadt wegen der Hexenverfolgung und -verbrennung als Hexennest tituliert, vor allem in der Amtszeit von Bürgermeister Hermann Cothmann (1667 - 83).
Bildname
Bildname
Der Dreißigjährige Krieg setzte Lemgo mit Einquartierungen und Zahlung von Kontributionen arg zu. Erst im 19. Jh. erholte sich das Gemeinwesen wieder. Heute zählt die nordrhein-westfälische, kreisangehörige Stadt Lemgo gut 42.000 Einwohner. 36

Das Rathaus begrenzt mit seinem umfangreichen Komplex aus acht Baukörpern die Ostseite des weiten Marktplatzes. Kern der großartigen Anlage ist der 46 Meter lange, in Nord-Süd-Richtung verlaufende, Saalbau, der 1330 erstmalig erwähnt wurde. Vor seine lang gestreckte Westfront setzte man um 1480 als Querbau mit schwerem gotischem Staffelgiebel die Ratskammer über einer offenen Laube im Erdgeschoss. An die Nordseite der Ratskammer fügte man 1525 die Ratsapotheke an, südlich kam 1589 die Neue Ratsstube mit Statuen der Kardinaltugenden hinzu. Die Nordfront hat 1565 eine eingeschossige Rathauslaube erhalten, auf die man 1589 die sog. Kornherrenstube setzte.

Mit fortschreitender Bauzeit wurde die Gliederung im Stil der Weserrenaissance reicher. Abschluss und Höhepunkt bildet ein 1612 errichteter Erker mit zehn Reliefs von Naturforschern, Ärzten und Philosophen

an der Nordecke der Ratsapotheke, dessen Schmuckformen den Übergang vom Beschlagwerk der Renaissance zum Knorpelstil des Manierismus zeigen. 37 Das Rathaus wurde in die UNESCO-Liste der Kunstwerke von europäischem Rang aufgenommen.
Bildname

Das Hexenbürgermeisterhaus in der Breiten Straße 19 (Foto rechts) von1568 - 71 ist ein frühes Beispiel von der Übernahme niederländischer Vorbilder. Säulen dienen als Schmuckmotiv und sind ganz unarchitektonisch gegeneinander versetzt auf dem Giebel verteilt. Dieser lässt noch den Staffelgiebel als Vorläufer erkennen, erhielt aber durch Voluten mit Fächerscheiben und Obelisken eine bewegte Umrisslinie. Das große Bogenportal ist aus der Achse nach rechts gerückt zwischen die ungleichen Erker, was vom spätmittelalterlichen Hang zur Asymmetrie zeugt. 38 Hier wohnte der berüchtigte Bürgermeister Cothmann.

Die Kirche St. Marien ist ein schwerer, typisch westfälischer und doch lichter gotischer Bau mit gut ausgewogenen Proportionen im Innern. Die dreischiffige Hallenkirche, außen 50 Meter lang und innen 8,50 - 9,50 Meter breit und an den Gurtbögen 13 Meter hoch, mit vier Jochen schließt im Osten mit einem 5/10-Chor ab.
Bildname

Mit dem Bau einer zunächst romanischen Apsis war um 1260 begonnen worden. Ab 1288 bekam das Vorhaben neuen Schub, denn die geistlichen Herren in Paderborn, Köln, Bremen und Osnabrück gewährten Ablässe zu Gunsten der Marienkirche. 1306 zog ein Konvent von Dominikanerinnen nach Lemgo, der sich Sonderrechte verbriefen ließ, welche er über Jahrhunderte verteidigte. Die Marienkirche blieb bürgerliche Pfarrkirche, wurde aber zugleich Klosterkirche. Um 1528 wurde, gegen den Widerstand des Grafen Simon V., in beiden Stadtkirchen der evangelische Gottesdienst eingeführt.

Die Kirche hat eine leicht nach Norden verbogene Längsachse, was auf den gleichzeitigen Baubeginn am zweiten, frühgotischen Chor und dem Westwerk zurück zu führen sein dürfte. Einige Pfeiler stehen schief, bis zu 28 Zentimeter. Ein Turm sollte ursprünglich über dem westlichen Mittelschiff-Joch aufgesetzt werden, konnte aber wegen des schlechten Baugrundes an der sumpfigen Bega nicht verwirklicht werden. Notgedrungen wurde im Osten, in der Ecke zwischen Chorquadrat und nördlichem Seitenschiff, der Turm angebaut, der im Mauerwerk 31,50 und bis zur Spitze 53 Meter hoch ist. Dem Druck des Dachstuhls auf die Außenmauern versuchte man zweimal, durch Aufschüttungen des Fußbodens, entgegen zu wirken. Dies gelang aber erst im 20. Jh., als (nach dem Aushub der Aufschüttung und Wiederherstellung der ursprünglichen Raumhöhe) eine stabile Bodenplatte aus Beton und Stahlanker in die Gewölbe eingezogen wurden.

Auffällig sind die groben Steinfiguren der Ecclesia und Synagoge aus der Zeit um 1310. Das Figurenpaar ist ein beschämendes Zeugnis mittelalterlichen Antijudaismus. Neben einem thronenden Christus steht ein Jude mit typischem Spitzhut mit einem Schwein. Die Darstellung verhöhnt, was den Juden heilig ist, nämlich das mosaische Gesetz, wonach das Schwein als unreines Tier gilt. Am Kanzelpfeiler ist ein Hochrelief mit der Geißelung Christi durch einen ebenfalls spitzhütigen Juden zu sehen (Bild rechts).
Bildname
Bildname
Die aus Lindenholz geschnitzte Kanzel stammt von 1646 und ist farbig gefasst. Sie zeigt eine noch stark von der Spätrenaissance geprägte Knorpel-Ornamentik sowie Säulen-, Pilasterund Voluten-Architektur. Schwenkbar neben der Kanzel ist am Pfeiler der Leuchterengel von 1635 befestigt. Im nördlichen Seitenschiff stehen die hölzerne Renaissance-Empore und ein Teil der barocken Stifts-Empore von 1686. Mit der Orgel von 1612, die wie ein Schwalbennest an die Ostwand des Nordschiffes gebaut ist, besitzt die Marienkirche eine kostbare Rarität: Sie zählt zu den wenigen erhaltenen Orgeln der Renaissance, nachdem sie 1932/33 rekonstruiert wurde. 39

Ende der siebziger Jahre setzte in der Baukunst eine Besinnung auf historische Gestaltungselemente ein, die ihren Niederschlag u.a. in Lemgos Marktplatzbebauung fand. Der Marktplatz muss vor dem Einzug der Moderne einer der schönsten gewesen sein. Wir fanden das Wohnund Geschäftshaus hier deplatziert - und für die in eine Bresche der Fachwerkstraße gedrückte kalte Sparkassen-Fassade kann man sich nur noch schämen. Zum Anfassen dagegen ist der Brunnen mit beweglichen Figuren (links).

3.10 Höxter
Um die 822 erstmals erwähnte, an einem Übergang des Hellwegs (aus Köln über Westfalen mit Münster und Paderborn Richtung Braunschweig) über die Weser gelegene Siedlung Höxter gegenüber dem Solling erwuchs eine Reihe von Siedlungen. 1115 wurde erstmals eine Weserbrücke erwähnt, die nach 1249 teilweise in Stein errichtet wurde. Stapel- oder Zollrechte besaß Höxter nie.
BildnameBildname
Bildname
Um 1235 erhielt Höxter Stadtrecht und besiegte die rivalisierende Klosterstadt Corvey mit Waffengewalt. 1533 fand die Reformation Eingang. Nach mehreren Zerstörungen wurde die Weserbrücke 1673 nicht wider aufgebaut, wodurch Höxter seine privilegierte Stellung verlor. 1674 musste Höxter die Landeshoheit des Bischofs von Münster anerkennen. 40

Die östlichste Kreisstadt in Nordrhein-Westfalen hat heute - nach der Eingemeindung von zwölf Ortsteilen - gut 32.000 Einwohner.

Die Kilianskirche ist eine romanische Pfeilerbasilika mit Doppelturmfassade und wurde 1075 geweiht. Um 1200 wurde sie eingewölbt (rechts, Bauarbeiten, für uns verschlossen). Zahlreiche Fachwerkhäuser mit oft plattdeutschen Inschriften sind im Stil der Weserrenaissance dekoriert. Die Stummrige Straße zeigt das besondere "Adam-und-Eva-Haus". Wuchtige Neubauten aus Stahlbeton durchsetzen und beeinträchtigen damit heute das bis in die Fünfziger Jahre ungestörte Altstadtbild. Etwas heiterer stimmen die Sinnsprüche an der Fassade der Ratsapotheke, wie: "Gesegnet sei dir Speis und Trank. Doch werd mir bitte auch mal krank." oder: "Vertrau des Apothekers Kunst. Sie hilft bestimmt, doch nicht umsunst." Ein Spruch fiel mir besonders auf: "Du liebst nicht sehr die Apotheken. Doch schlimmer Freund sind Hypotheken."
Bildname

3.11 Schwalenberg
Schwalenberg entstand als Ackerbürgerstadt, denn 13 einfache Bauern schlossen sich zu einer Hagensiedlung zusammen, um im Schutz steiler Hänge auf engstem Raum ein friedliches Dasein in oft friedlosen Zeiten zu fristen. Anders als Handels- und Gewerbestädte waren sie nicht auf Expansion ausgerichtet, denn die Topografie hier bestimmte Schwalenberg für alle Zeit dazu, ein kleiner Ort zu bleiben.
Bildname

Die Grafen von Schwalenberg waren schon zur Zeit Karls des Großen bekannt. Sie gründeten das Kloster Barsinghausen und hatten die Burg Waldeck im Besitz. Als Schirmvögte des Bistums Paderborn waren sie die mächtigsten Herren im östlichen Westfalen. Widukind von Schwalenberg als treuer Anhänger von Kaiser Heinrich V. stiftete das Benediktinerkloster Marienmünster. Nach dem Aussterben des fränkisch-salischen Kaiserhauses entwickelte sich ein gefährliches Raubrittertum.

Schon vor 1200 entstand die Schutzsiedlung Burghagen mit der Johanniskirche. Ab dem Jahr 1231 wurde die Stadt und Burg Schwalenberg von Graf Volkwin III. als "Oppidum Sualenberg" (oder Sualanberg) gegründet. Schon 1258 bestand ein geordnetes Gemeinwesen mit Richtern und Ratsmannen. Nach dem Aussterben des Schwalenberger Grafengeschlechts kam es zur Teilung zwischen Lippe und Paderborn; die Pfandherrschaft dauerte zwei Jahrhunderte. Die Doppelherrschaft setzte sich jedoch bis 1806 fort. Genau ein Jahrhundert später wurden durch Fürst Leopold IV. erneut Stadtrechte verliehen.

Zu dieser Zeit kam der Berliner Maler Hans Bruch und nahm in einem Gasthof Quartier. Stille Winkel, Ansichten von Stadt und Burg zogen immer mehr Maler an, bis zum Höhepunkt um 1920. Die "Ortsgruppe für Heimatschutz und Heimatpflege" ließ Anfang des 20. Jh. fast vergessene Volkstänze wieder aufleben. Auch längst nicht mehr getragene Trachten wurden wieder entwickelt, und alle zwei Jahre wird ein internationales Trachtenfest ausgerichtet. Schwalenberg bezeichnet sich selbst als Maler- und Trachtenstadt.

Die Kleinstadt Schieder-Schwalenberg mit rund 9.500 Einwohnern im westfälischen Kreis Lippe entstand 1970 aus dem Zusammenschluss mit der Gemeinde Schieder und sechs weiteren Dörfern. - Als wir in der Frühe durch das Städtchen streiften, kam es uns wie ausgestorben vor.
Bildname
Das historische Fachwerk-Rathaus wurde mit dem Mittelbau 1579 begonnen. Hinter drei Bogenstellungen befand sich einst eine offene Markthalle. Links davon wurde 1603 ein weiterer Bogen mit der Ratsstube darüber angebaut. Die außerordentlich reich gestaltete Ornamentik übersteigt bei weitem den üblichen Zuschnitt eines bescheidenen Ackerbürgerstädtchens. So steht über der Halle: "WOL GEBRVKET BOS GEWICHT STRAFT GOT AM JVNGSTEN GERICHT". Später wurde im Erdgeschoss der Ratskeller eingerichtet. 1906 wurde rechts ein weiteres Fachwerkhaus mit drei Vollgeschossen angebaut. 41

3.12 Detmold
Detmold wurde 783 als "Theotmalli" erstmals erwähnt und 1005 dazu ein "Tietmelli-" oder "Theotmalli-Gau" genannt. Die Stadt wurde 1263 durch den Edlen Herrn Bernhard III. zur Lippe mit dem Namen "Detmelle" am Nordostrand des Teutoburger Waldes und am Übergang über die Werre der alten Handelsstraße von Paderborn nach Lemgo mit Lippstädter Recht gegründet. Bereits zwei Jahre danach wurde ein Jahrmarkt eingeführt.
Bildname

Um 1300 kam ein zweiter, der Martini-Markt (11. November) dazu. Die Stadt hatte 300 Einwohner und wurde von einer einen Meter dicken Bruchsteinmauer umgeben. 1447 wurde Detmold in der Soester Fehde durch böhmische Söldner im Auftrag des Erzbischofs von Köln zerstört. Burg und Stadt wurden nach den erheblichen Schäden und noch einmal 1528 - 36 zu einer starken Festung ausgebaut. 1547 wurde die Stadt von einem Großbrand heim gesucht, der über 70 Häuser zerstörte. Kurz darauf wurde Detmold fester Sitz und Residenz des Grafen Simon III. 1557 wurde das Schloss als Renaissancebau mit reichem Giebelschmuck fertig gestellt.

Zwischen 1625 und 37 wüteten mehrere Pestepidemien in der Stadt, die 900 Todesopfer forderten. Friedrich Adolf legte ab 1701 planmäßig die Neustadt im Süden an und ließ dazu einen Kanal bauen. Ab 1720 durften Wälle und Gräben beseitigt, aber erst ab 1780 Tore und Mauertürme abgetragen werden. 1809 führte Fürstin Pauline mit 26 Öllaternen die Straßenbeleuchtung ein. Die Stadt wurde im klassizistischen Stil erweitert.

1835 war die Stadt mit über 4.000 Einwohnern der größte Ort Lippes; 1900 hatte sie 12.000 und 1950 über 30.000 Einwohner. Die damalige Hauptstadt der Grafschaft, ab 1789 des Fürstentums, dann ab 1918 Freistaats Lippe und heutiger Sitz des Kreises und Regierungsbezirks Detmold hat heute rund 73.000 Einwohner, zusammen mit den 25 eingemeindeten Ortsteilen. 42

zurück   Übersicht   weiter