8 Die Künstler
8.1 Pisano
Niccolò Pisano wurde um 1225 vermutlich in Apulien geboren. Er war Sohn eines Steinmetzes. Er starb in Pisa bald nach 1278. Niccolò war vermutlich in der antikisierenden Hofbildhauerwerkstatt Kaiser Friedrichs II. groß geworden. Mitte des Jahrhunderts ließ er sich in Pisa nieder, wonach er benannt ist. Er scheint in Frankreich gewesen zu sein und dort die Skulpturen der Fassade von Reims studiert zu haben. Auch antike Sarkophag-Reliefs dienten ihm als Vorbilder.

Niccolò Pisanos Hauptwerke sind die polygonen Marmorkanzeln im Baptisterium von Pisa (1260) und im Dom von Siena (1265 - 68, Foto rechts), deren Brüstungen mit figurenreichen Reliefs aus dem Neuen Testament geschmückt sind. Hier in Pisa erscheinen neben Gestalten antiker Art erstmals gotisch gestaltete Gewandfiguren. Und in der stärker gotisch beeinflussten Sienser Domkanzel wandelte sich sein Reliefstil zu erzählerischem Reichtum und dramatischer Zuspitzung; sie wurde zum Ausgangspunkt für seinen Sohn Giovanni, der daran mitgewirkt hat. Waren die Pisaner Reliefs klar begrenzt, ziehen sie sich jetzt wie ein einziger Fries um die Brüstung der Kanzel.
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Der italienischen Plastik gab er einen neuen Aufschwung. Er ragt weit über seine unmittelbaren Vorgänger hinaus. Zwar behielt er die traditionellen byzantinischen Kompositionen bei, hat aber mit dem Studium der Antike den Anstoß zu einer neuen Formenbildung gegeben. In der Auffassung von Relief und Freifigur löste er sich von der Fläche und fand zu einer Dreidimensionalität, die später als wegweisend für die Renaissance empfunden wurden. Niccolò Pisano wurde einer der bedeutendsten europäischen Bildhauer des Mittelalters.

Giovanni Pisano wurde als Sohn von Niccolò um 1250 in Pisa geboren und starb in Siena bald nach 1314. Er war der erste italienische Bildhauer der Gotik, der Dombaumeister wurde, zuerst seit 1287 in Siena, wo er die Skulpturen der Westfassade schuf, und zehn Jahre später in Pisa, wo die Bildwerke der gotischen Geschosse des Baptisteriums von ihm stammen. Als Architekt baute er 1278 - 83 den Campo Santo und die Kirche Santa Maria della Spina in Pisa.

Gemeinsam mit seinem Vater Niccolò schuf er 1277 - 80 den Stadtbrunnen auf dem Domplatz von Perugia mit Reliefs und Statuetten (links). Zwei Kanzeln entwickelten die vom Vater erlernten Skulpturen weiter:
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die Kanzel in San Andrea in Pistoia (1297 - 1301, rechts) und die Domkanzel in Pisa (1302 - 12, links), überaus reich und von zahlreichen Stützfiguren getragen.
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Auch das Weihwasserbecken in San Giovanni in Pistoia ist von ihm. Vier Figuren der Gottesmutter mit dem Jesuskind stammen sicher von seiner Hand.

Von seinen Madonnen am Campo Santo und Baptisterium in Pisa, in der Arena-Kapelle in Padua und in Prato ist die trefflichste die Madonna del Fiore am Südportal des Domes in Florenz. Für San Domenico in Perugia schuf er 1305 das Monument des Papstes Benedikt XI.

Giovanni Pisanos Konzept von der menschlichen Nähe der heiligen Gestalt kam aus der franziskanischen Gebetsmystik und wirkte noch bis zum Jahrhundertende nach.55

Den Namen nach seiner Stadt trägt auch Andrea Pisano, der um 1295 in Pontedera bei Pisa geboren und um 1348/49 in Orvieto gestorben ist. Er schuf in Florenz die älteste der drei Bronzetüren des Baptisteriums mit den Reliefs aus dem Leben Johannes des Täufers u.a. in gotischen Vierpassrahmen (1330 - 36) und die sechseckigen Marmorreliefs am Untergeschoss des Campanile seit 1337. - Sein Sohn Nino schuf vor allem Madonnen in Anlehnung an die französische Plastik.

8.2 Dante Alighieri
Eine Biografie dieses bedeutenden italienischen Dichters finden Sie im Reisebericht des Vorjahres.

8.3 Petrarca
Der Dichter wurde ebenfalls bereits im Vorjahr ausführlich beschrieben.

8.4 Benozzo Gozzoli
Benozzo Gozzoli wurde im Herbst oder Winter 1421 als Sohn von Lese die Sandro di Lese geboren und gehörte dem verstädterten Zweig einer Landbesitzerfamilie an, die aus dem ebenen Hinterland östlich von Florenz kam. Seine Mutter, bei der Geburt 18 Jahr alt, hieß Monna Mea; seine Brüder waren der ein Jahr ältere (!) Roberto und der drei Jahre jüngere Domenico.

Als einige seiner ersten Arbeiten lieferte er 1439 eine auf ein Totentuch gemalte "Himmelfahrt Christi" ab, 1441 ein Medaillon. In einem Kataster von 1442 ist eingetragen, der zwanzigjährige Benozzo sei dabei, das Malen zu lernen. Zu dieser Zeit war Benozzo Gehilfe oder Mitarbeiter von Fra Angelico. Der junge Benozzo passte sich perfekt dem Stil seines vierzigjährigen Meisters an.

Den ersten Nachweis einer selbständigen Tätigkeit liefert eine Reihe von kleinen Gemälden von 1446/47. Diese akkurat ausgeführten Werke lassen die früh entwickelte Neigung Gozzolis für schön geschwungene Linien und kostbare Verzierungen der Miniaturmalerei erkennen. Im "Kodex der Prophezeiungen..." ist eine Reihe von Porträts aller bis 1447 gestorbenen Päpste von Gozzoli enthalten.

Benozzo schloss sich in Florenz einer Gruppe unter Leitung von Lorenzo Ghiberti an, welche die bronzene Paradiestür am Baptisterium nach dem Guss fein ziselieren wollte (Foto unten). Der großartige Bildhauer Ghiberti, mit seinem philosophischen und literarischen Humanismus, beeinflusste Benozzo stark.
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1447 war Benozzo erstmals außerhalb von Florenz tätig. Er verließ die Werkstatt Ghibertis und ging mit Angelico nach Rom. Der Aufenthalt dort war für seinen kulturellen und beruflichen Werdegang von entscheidender Bedeutung. Die Begegnung mit den Zeugnissen der antiken Architektur und Skulptur - trotz ihres verwahrlosten Zustandes - und die gleichzeitige Entdeckung der großen Basiliken - Stätten der Kunst und religiösen Hingebung des frühen Christentums - prägte ihn auf das Tiefste.

Als Angelico 1450 in seine Heimatstadt zurück kehrte, machte sich Benozzo endgültig selbständig. Die große Gelegenheit bot sich ihm, als die Franziskaner von Montefalco ihn beauftragten, die Apsis ihrer gotischen Kirche mit Fresken aus dem Leben des Hl. Franziskus auszumalen. 1453 befand sich Benozzo in Viterbo, um in der Kirche der Franziskaner-Nonnen zehn Episoden aus dem Leben des Heiligen zu malen. In dieser wichtigen Phase reifte sein persönlicher Stil heran, mit dem er die geläufige "Lichtmalerei" anreicherte. Zwischen 1456 und 59 hielt er sich in mehreren Städten Mittelitaliens auf, auch in Rom.
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1459 rief ihn die berühmteste Familie von Florenz, die Medici, an ihren Hof, um die Wände ihrer Palastkapelle in der Via Larga zu dekorieren (Bild links). Cosimo de' Medici kannte Gozzoli als "rechte Hand" seines Lieblingsmalers Angelico. Drei Jahrzehnte zuvor hatte der Erzrivale, Palla Strozzi, die "Anbetung der Heiligen Drei Könige" malen lassen. Gozzoli übertraf seinen Vorgänger bei Weitem.

Eingeleitet vom Engel der Apokalypse über der Eingangstür, bedecken seine Malereien die ganze "Capella dei Magi". Der Hauptraum ist dem Zug der Heiligen Drei Könige gewidmet.

Ihre Reise beginnt in Jerusalem, der weißen mit Befestigungsmauern umgebenen Stadt rechts oben, und endet in Bethlehem, Stätte der Geburt Jesu. In den Wandstreifen über den Sakristeitüren ist die Wache der Hirten am Vorabend der Heiligen Nacht dargestellt, während an den Seitenwänden des Apsisraumes die Engel vom Himmel kommen, um den Herrn zu loben, wie es im Lukas-Evangelium heißt.

Unter erzählerischen Aspekten dient die neutestamentarische Geschichte als Vorwand für die Inszenierung einer glänzenden Rittersage (zweifellos auf Wunsch von Medici). So verlieh der Künstler dem Schauspiel ein Raffinement, das in technischer Sorgfalt und kostbaren Details einer überdimensionalen Miniatur gleichkommt. Entsprechend der Regeln des Hofprotokolls ist der Zug der Könige in Gruppen aufgeteilt, wobei im Hintergrund noch Platz für eine aristokratische Jagdszene bleibt. Dem königlichen Gefolge schreitet ein Trupp hoch gestellter Bürger voran, ein weiterer bildet den Schluss. Rechts erkennt man die Mitglieder der Familie Medici, darunter Cosimo, Piero, dessen Kinder Lorenzo und Giuliano, sowie das Selbstporträt Gozzolis.

Dieser begann seine Arbeiten im Frühling oder Sommer 1459 und stellte sie in wenigen Monaten - mit mindestens einem Gehilfen - fertig. Er arbeitete - wie bei Ghiberti gelernt - nicht nur kostbare Materialien wie Kleinode, Stoffe und Zierrat heraus, sondern auch Bäume voller Früchte, mit Blumen übersäte Wiesen, das schillernde Gefieder der Vögel, die bunt leuchtenden Flügel der Engel. Eine großzügig aufgetragene Schicht feinsten Blattgoldes verlieh dem Ganzen schließlich die Atmosphäre schimmernden Kerzenlichtes.

Die von den Riccardi, den späteren Besitzern des Palastes, veranlassten Umbauten haben die Symmetrie des Raumes zwar entstellt, konnten ihm aber nicht seinen magischen Zauber nehmen. Benozzo hinterließ hier zweifellos sein bestes Werk und machte sich zum unübertroffenen Interpreten der aristokratischen Bestrebungen der Medici. Nach der alt bewährten Formel verband er die ornamentale Pracht der ausgehenden Gotik mit der perspektivischen Klarheit der neuen Raumkonzeption und ließ eine glänzende, vom reinen Licht der flämischen Malerei erleuchtete, Welt entstehen. 56

Jedes antike Zeugnis der menschlichen Kreativität ist einmalig und unnachahmlich, um so mehr die Kapelle der Hl. Drei Könige, wo Kunst, Glaube, Kultur und Macht unter außerordentlichen Umständen ein Bündnis eingingen, um der Welt ein Meisterwerk zu schenken, das mit unvergleichlicher Ausdrucksfähigkeit die Vergangenheit herauf beschwört. Von den Wänden der Kapelle, im Widerschein der sie umrahmenden kostbaren Ausschmückungen, verbinden die Malerei Gozzolis die weit entfernte Vergangenheit der Geburt Jesu und der Hl. Drei Könige mit der Florentiner Gegenwart des 15. Jh. und präsentieren uns das faszinierende und noch immer geheimnisvolle kollektive Gesamtbild einer Familie als "Prima inter pares" innerhalb der Gesellschaft ihrer Zeit: die Medici im glücklichen Jahr 1459 auf dem Gipfel ihres Reichtums und in familiärer Vollzähligkeit, vom alten Cosimo bis zu seinem Erstgeborenen Piero und den Enkeln Lorenzo und Giuliano mit den Blutsverwandten, den Verbündeten und den erlauchten Gästen. 57
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Gozzoli blieb in Florenz bis 1463. Kurz nach seiner Vermählung mit Lena di Luca di Jacopo Cieco im Jahr 1464 begab er sich nach San Gimignano, um dort den Chor der Kirche Sant' Agostino mit Fresken auszumalen (2 Fotos links). Damit begann zum zweiten Mal, und diesmal unwiderruflich, eine Art Wandertätigkeit für den Maler, die ihn in verschiedene Städte der Toskana führte, ohne ihm die Gelegenheit zu geben, jemals nach Florenz zurück zu kehren. Benozzo hielt sich bis 1467 in San Gimignano auf.

Der augustinische Freskenzyklus entfaltet sich in drei übereinander liegenden Reihen an den Wänden des Chors, während am Kreuzgewölbe die vier Evangelisten dargestellt sind. Die achtzehn Szenen, vier davon in den Lünetten, geben das gesamte Leben des Hl. Augustinus wider, von seiner Kindheit bis zum Tode. Eine der Klassik entlehnte Rahmung aus gemalten Pfeilern und reliefartig aus dem Rankenwerk hervor tretenden Putten vereint die rechteckigen Bildfelder, deren Mittelszene den Hl. Augustinus beim Verlassen Roms zeigt.
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Konnte sich Benozzo bei der Franziskus-Legende in Montefalco auf eine gesicherte ikonografische Tradition, insbesondere von Giotto in der Kathedrale von Assisi, stützen, so stand ihm für das Leben des Hl. Augustinus keinerlei bedeutendes Vorbild zur Verfügung. Er sah sich vor die Aufgabe gestellt, die nur mündlich überlieferten Episoden in eine adäquate bildliche Form zu bringen. Dieser Herausforderung begegnete er mit einem entschlossenen, von rationeller Klarheit geprägten und deshalb leicht verständlichen Szenenaufbau, in dem sich die majestätischen, voll plastischen Figuren harmonisch einfügen. Dazu tragen die erhabenen Stadtansichten mit existierenden oder erfundenen Bauten bei. Wie schon in der "Capella dei Magi" fügte Benozzo zahlreiche Porträts lebender Personen ein. Benozzo selbst erscheint im eleganten rosa Gewand, und auch seine Gehilfen sind verewigt.

Im Frühling 1464 brach in San Gimignano die Pest aus. Diese entfachte die Verehrung des Hl. Sebastian neu, von dem man sich Schutz gegen die gefürchtete Krankheit versprach. Benozzo malte mehrere Pestbilder, auch nachdem die Epidemie im Februar 1465 abklang.

Kurz vor seinem fünfzigsten Lebensjahr übertrug man ihm eine der großartigsten Aufgaben, die sich ein mittelitalienischer Künstler damals wünschen konnte: die Vervollständigung der in vergangenen Jahrhundert unterbrochenen Freskenmalerein im Camposanto von Pisa. Der Bauhüttenleiter verpflichtete ihn Anfang 1469 zur Bemalung der langen Nordwand. Im Mai 1484, mit dem Datum der letzten Honorarzahlung, war die Arbeit  abgeschlossen. - 1944 wurde ein Großteil der Fresken bei einem Bombenangriff unwiederbringlich zerstört. Die erhaltenen Rötelzeichnungen können nur ein schwaches Bild von diesem einstigen Meisterwerk vermitteln; einer Arbeit, die alles übertraf, was Gozzoli in seinem Leben je vollbracht hatte.

Sein Aufenthalt in Pisa nahm ein jähes Ende, als 1494 mit der Vertreibung von Piero de' Medici die alte Feindschaft zu Florenz wieder aufflammte und alle Florentiner aus der Stadt gejagt wurden. Nach der Machtübernahme von Karl VIII. und Gozzolis Rückkehr nach Florenz hatte er kaum noch Aussicht, sich im hohen Alter neben anderen Fresko-Malern zu behaupten. Anfang 1497 musste Benozzo nach Pistoia übersiedeln, wo seine Söhne, Francesco als Maler von Schatullen und Giovanni Battista als Richter, arbeiteten. Hier in Pistoia starb Benozzo Gozzoli am 4. Oktober 1497, möglicherweise an der Pest.

Gozzolis Künstlerpersönlichkeit zeichnet aus: seine Kenntnis und Bewunderung für die große Malerei der toskanischen Gotik, deren Tradition er in seinen Bildern wieder aufleben ließ; seine Verbundenheit zu den klassischen Werten des Humanismus, wie er sie in den ausgewogenen, gefälligen Formen Ghibertis kennen gelernt hatte; die Ernsthaftigkeit und Kontinuität in der Auseinandersetzung mit religiösen Bildinhalten im Zeichen einer christlichen Pietas, die er von Angelico übernommen und aus eigener Überzeugung Zeit seines Lebens praktiziert hatte. 58

8.5 Leonardo da Vinci
Leonardo wurde am 15. April 1452 in Anchiano bei Vinci, einem befestigten Hügeldorf, 30 Kilometer westlich von Florenz, als unehelicher Sohn des wohlhabenden 25-jährigen Notars Ser Piero und der 22-jährigen Bauerntochter Caterina geboren. Ihre Beziehung ging kurz nach der Geburt des Sohnes zu Ende. Ser Piero war viermal verheiratet und hatte mit seinen beiden letzten Frauen neun Söhne und zwei Töchter.

Nach der Trennung von Caterina nahm er den jungen Leonardo als leiblichen Sohn an. Leonardo wuchs vermutlich gleich nach dem Ende der Stillzeit im Haus des Großvaters Antonio auf, der ihn 1457 in seiner Steuererklärung angab, und verbrachte den größten Teil seiner Jugend in Florenz.
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Zu seiner Schönheit und Unternehmungslust kamen ein gewinnender Charme, Taktgefühl in der Gesellschaft und eine Begabung für jegliches künstlerisches Fachgebiet. Unermüdliche intellektuelle Energie und Neugier lagen unter dieser liebenswerten Oberfläche.

Zu den liebsten Interessen des jungen Leonardo gehörten Musik, Zeichnen und Modellieren. Als uneheliches Kind durfte Leonardo nicht studieren, nicht Arzt oder Apotheker, nicht Richter oder Notar werden - ihm blieb nur noch die Kunst. Sein Vater zeigte einige von Leonardos Zeichnungen einem Bekannten, Andrea del Verrocchio, den er (nach dem Umzug nach Florenz 1466) als Lehrer ab 1469 auswählte. Verrocchio gehörte zwar nicht zu den kreativsten Künstlern, war aber als Goldschmied wie Bildhauer und Maler ein erstklassiger Handwerker und zudem als Lehrer begabt. In seiner Gesellschaft arbeitete Leonardo von 1470 bis 77. Er malte dort Altar- und Tafelbilder und entwarf große Marmorund Bronzestatuen.

Um 1472 fand sich sein Name in Listen der St.-Lukas-Gilde von Florenz. 1478 wurde Leonardo selbständiger Meister. Sein erstes großes Bild "Die Anbetung der Könige" malte er 1481 für ein Kloster. In Florenz arbeitete er zehn oder elf Jahre und scheint die Gunst der Familie Medici gefunden und unter deren Patronage 1482 und 83 gearbeitet zu haben. 59

Trotz seiner glänzenden Fähigkeiten und seines Talents blieb Leonardo arm. Wahrscheinlich machte ihn sein ausschließlicher Glaube an experimentelle Methoden und seine Geringschätzung für Autorität im Medici-Zirkel unsympathisch, welcher einen Kult aus klassischer Vergangenheit und Christentum, mystisch vermischt und versöhnt mit dem Platonismus, lebte.

Um 1482 trat Leonardo in die Dienste des Herzogs von Mailand, Ludovico Sforza, genannt "il Moro", nachdem er ihm in einem Brief mitgeteilt hatte, er könne tragbare Brücken bauen, er kenne Techniken wirkungsvoller Bombardements und des Kanonenbaues, er könne Schiffe, bewaffnete Fahrzeuge, Katapulte und andere Kriegsmaschinen konstruieren, und er vermöge Skulpturen in Marmor, Bronze und Ton ausführen.

Einen Teil der Zeit von 1483 - 87 dürfte Leonardo mit Reisen in den Osten ausgefüllt haben. Dies deutet ein Brief an, in dem er von seltsamen Erfahrungen in Ägypten, Zypern, Konstantinopel, an den kilikischen Küsten, beim Taurus-Gebirge und in Armenien erzählt. Allerdings bestehen wegen der Verwechslung von Orten daran Zweifel.
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Von Beginn seines Aufenthaltes an war Leonardo durch seine Verbindung beispielloser technischer Findigkeit, Redegewandtheit, seinem Charme und der nötigen allegorischen Erfindungsgabe zum führenden Geist in allen Hofzeremonien und Festivitäten geworden. (Bilder: links Flugapparat, unten links Getriebe, rechts Schiffsantrieb)
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Inzwischen füllte er seine Notizbücher fleißig mit den Ergebnissen seiner Studien in Geometrie, Hydrologie, menschlicher Anatomie, Statik und Dynamik, Mechanik und Optik wie den Phänomenen von Licht und Schatten.
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Das bedeutendste Gemälde dieser frühen Mailänder Zeit ist die "Madonna in der Felsengrotte", zweimal ausgeführt von 1483 - 86 und 1503 - 06. Er beschäftigte sich lange mit der Komposition eines Bildes, ohne es ganz fertig zu stellen. Von 1495 - 97 arbeitete er an dem großartigen Abendmahl-Fresko (Cenacolo) für das Refektorium des Klosters Santa Maria delle Grazie in Mailand, das zu seinen bedeutendsten Werken zählt.

Die Jünger sind an den Enden und nur einer Längsseite des Tisches geschart, die andere Längsseite ist dem Betrachter frei gegeben. Der Speiseraum erscheint in einer perfekt symmetrischen Perspektive. Anstatt die zwölf Jünger als Einzelfiguren zu zeichnen, ordnete er sie in dynamischen Dreiergruppen an, die Christus umrahmen, der sich allein in der Mitte befindet. Vor einer blassen, in der Ferne verdämmernden Landschaft, sichtbar durch drei Fenster, stellt Christus ein Zentrum der Ruhe dar, während die Anderen in auffälliger Gebärdensprache ihre innere Erregung äußern. Er wollte durch die Bewegung nicht nur den Menschen, sondern auch die "Absicht seiner Seele" darstellen. Weil Leonardo Tempera auf Stein auftrug, zeigte das Gemälde schon wenige Jahre später große Schäden.

In seinen langen Mailänder Jahren schuf Leonardo zahlreiche Gemälde und Zeichnungen wie Bühnenentwürfe, Architekturskizzen und Entwürfe für den Mailänder Dom. Sein größtes Auftragswerk war ein monumentales, über sieben Meter hohes, Bronze-Reiterstandbild von Francesco Sforza. Französische Bogenschützen zerstörten beim Einmarsch 1499 das Tonmodell, einen Bronzeguss gab es nie, denn aus der Bronze wurden Kanonen gegossen. 1502, zurück in Florenz, trat Leonardo in die Dienste von Cesare Borgia, Herzog der Romagna. 1503 entwarf er die Dekoration für den großen Saal im Palazzo Vecchio in Florenz, der die Schlacht von Anghiara darstellen sollte. Krieg lehnte Leonardo Zeit seines Lebens ab, er nannte ihn "Pazzia bestialissima", also bestialischen Irrsinn. Das Wandgemälde führte er nie zu Ende. 60

Während seines zweiten Aufenthaltes in Florenz malte Leonardo verschiedene Porträts, von denen sich nur eines, seine berühmt "Mona Lisa", erhalten hat. Von 1503 - 06 oder 1510 - 15 porträtierte er die neapolitanische verheiratete Hausfrau Monna Lisa del Giocondo. Dieses Werk zeichnet sich durch eine tiefe Unergründlichkeit aus, die im geheimnisvollen Lächeln der Porträtierten zum Ausdruck kommt, wie durch eine unübertreffliche Meisterschaft in den Techniken.

Der Meister arbeitete an diesem Porträt in Teilen von vier aufeinander folgenden Jahren und ließ während der Sitzungen Musik aufspielen, damit der gespannte Ausdruck nicht aus dem Antlitz seines Gegenübers entschwinde. Zeit seines Lebens konnte Leonardo sich nicht von dem Bild trennen; es begleitete ihn auf allen seinen weiteren Lebensstationen bis zu seinem Tod.

Leonardos Vater war 1504 gestorben, anscheinend ohne Testament. Leonardo kam mit seinen viel jüngeren Halbbrüdern über das Erbe in Konflikt. Der Rechtsstreit darüber zog sich über Jahre hin und zwang Leonardo zu häufigen Besuchen in Florenz und damit Unterbrechung seiner Arbeit in Mailand.
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Um 1509 entstand vermutlich Leonardos Selbstporträt in roter Kreide. Darauf wirkt er für seine knapp 60 Jahre zu alt, aber ziemlich ungebrochen. Der Charakter der Altersweisheit zeichnet sich ab; seine Gesichtszüge sind würdevoll und deutlich liniert, der Mund fest und fast streng, das Haar fällt ungeschnitten über die Schultern und vermischt sich mit seinem majestätischen Bart.

Als Leonardos Prozess 1511 zu Ende war und er nach Mailand zurück kehrte, hätte sich Leonardo auf seinen Lebensabend freuen können und seine Masse an Beobachtungen und Vermutungen, die er in seinen Notizbüchern auf über 6.000 Seiten gesammelt hatte, ordnen und einige davon veröffentlichen können. Leonardo schrieb meist in Spiegelschrift, was einerseits für ihn als Linkshänder praktischer war, andererseits die Lesbarkeit für Außenstehende erschweren sollte. In seinen Konstruktionszeichnungen vertauschte er absichtlich kleine, aber entscheidende Details, so dass ein genauer Nachbau nicht funktionieren konnte. 61

Leonardo führte keines seiner Bildhauerprojekte zu Ende. In der Architektur konnte er keinen seiner Gebäudeentwürfe verwirklichen, wie den für die Kuppel des Mailänder Domes von 1487. Doch zeigen seine Architekturzeichnungen eine große Meisterschaft im Umgang mit massiven Formen, Klarheit des Ausdrucks und genaue Kenntnis antiker römischer Vorbilder. Neben Festungsanlagen, Idealplänen einer zweigeschossigen Stadt, die das Problem der Kanalisation modern löste, Palast- und Gartenanlagen waren vor allem seine Zentralbau-Entwürfe in ihrer Systematik für die Baukunst des 16. Jh. bedeutend. - Auf die Fertigstellung kam es ihm nicht an: "Nachdenken ist ein edles Werk", schrieb er, "Ausführen ein unterwürfiges." 62

Leonardo da Vinci wusste, mehr als jeder andere zeitgenössische oder nachfolgende Künstler oder Gelehrte, von der Bedeutung präziser wissenschaftlicher Beobachtung. Leider brachte er viele seiner wissenschaftlichen Untersuchungen, ähnlich wie viele seiner künstlerischen Vorhaben, nicht zum Abschluss. Seine Theorien über Hebelgesetze, Strömungsforschung und vor allem über den Vogelflug hielt er in zahlreichen Aufzeichnungen fest. Aber auch über technische Gerätschaften gibt es Notizen und Zeichnungen von Leonardo: Bohrmaschinen, Brennspiegel, Drehbänke, Druckpumpen, Fallschirme, Kräne, Schleudern, Seildrehmaschinen, Spinn- und Tuchschermaschinen, Stechheber und Taucherglocken beschäftigten seine technische Fantasie. Leonardo gehörte zu den Begründern der Hydraulik. Auf dem Gebiet der Anatomie plante er eine umfassende Abhandlung über den Körperbau, basierend auf Studien zu Kreislauf, Auge, Herz und Schwangerschaft, und nahm damit bereits zahlreiche medizinische Entdeckungen der Neuzeit vorweg. Er arbeitete Pläne aus, die den Hubschrauber, das Unterseeboot und das Maschinengewehr gedanklich vorweg nahmen. Seine Landkarten der Toskana gehören zu den frühesten Zeugnissen moderner Kartografie.

Leonardo machte Entdeckungen auf den Gebieten der Meteorologie und Geologie, erkannte die Wirkungen des Mondkreislaufes auf die Gezeiten, ahnte später bestätigte Erkenntnisse über die Formung der Kontinente voraus und stellte zutreffende Vermutungen über die Entstehung versteinerter Muscheln an. Durch seine Beschäftigung mit nahezu allenWissensgebieten der damaligen Zeit verkörpert Leonardo selbst exemplarisch das in der Renaissance entwickelte Idealbild eines Homo universalis, auf italienisch Uomo universale, des universell gebildeten Menschen. 63

Da er wegen seiner Loyalität mit den Franzosen von den zurück gekehrten Sforza keine Anstellung bekam, zog er mit Hab und Gut und einem Gefolge aus Schülern nach Rom. Doch Papst Leo X., vormals Giulio de' Medici, hatte keine hohe Meinung von Leonardo und gab ihm einen deutschen Mitarbeiter, der dem Papst stets über Leonardos Aktivitäten berichten sollte. Aufgrund von dessen Vorwürfen der Leichenfledderei und Pietätlosigkeit bei anatomischen Studien entzog ihm der Papst seine Gunst zeitweise. Insgesamt blieb Leonardo nicht ganz zwei Jahre in Rom.

1515 wurde Leonardo dem jungen französischen König Franz I. vorgestellt. Der brillante junge Souverän und der weise Alte waren sich auf Anhieb sympathisch. Leonardo begleitete Franz nach Mailand und nahm seine Einladung nach Frankreich an, wo ihm ein neues Heim, Ehre und Achtung zugesichert wurden.

Die letzten zweieinhalb Jahre seines Lebens verbrachte Leonardo im Schloss Clos Lucé bei Amboise (damals Château de Cloux genannt), das ihm mit einer großzügigen Pension überlassen wurde. Am Osterabend 1519 fühlte er sein Ende nahen und machte sein Testament. Er starb am 2. Mai 1519.

Von den 46 Jahren seiner dokumentierten Laufbahn verbrachte Leonardo höchstens 16 in seiner Heimatstadt Florenz - mindestens 30 Jahre aber lebte er als Mietling an den Höfen Europas. Immer wieder geriet er an neue Herren, unterwarf sich, bot sich an: "Ich halte mich jederzeit zum Gehorsam bereit." Wie kein anderer war Leonardo gleichzeitig für Kunst und Wissenschaft begabt. In der Kunst war er ein Erbe und Vollender. In der Wissenschaft war er ein Pionier, der völlig für die Zukunft arbeitete, zum großen Teil allein. Dass seine beiden ungeahnten Gaben sich in gewissem Maße neutralisierten, war unvermeidlich. Leonardo vereinte sein Wissen über Licht und Schatten mit den alten Florentiner Stärken der linearen Zeichnung und des psychologischen Ausdrucks und trug es auf eine neue Höhe. Die Früchte sind leuchtend, aber bedauerlich wenig. Tun und Erkennen lockten ihn gleichermaßen, und seine Tatkraft wurde oft von seiner unaufhaltbaren Neugier gelähmt. 64

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