4.3 Hermannstadt oder Sibiu
Die "Haupt- und Hermannstadt", wie sie früher genannt wurde, liegt im Südwesten Siebenbürgens am Zibinsfluss, 20 km vor seiner Mündung in den Alt. Hermannstadt war Sitz des obersten Gebietsherrn auf dem Königsboden, des "Sachsengrafen", im 18. Jh. Hauptstadt des Fürstentums Siebenbürgen und Sitz des Bischofs der evangelischen Landeskirche. 81
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Auf dem Gebiet wurde von den Römern die Stadt Cedonia gegründet. Die Anfänge der jetzigen Ortschaft gehen in das 12. Jh. zurück. Damals entstand in der Zibinsaue die erste Gründung Hermannsdorf ("Villa Hermani" oder "Villa Hermanni", erwähnt um 1223). 1191 taucht der andere Name "Praepositum Cibiniensem" urkundlich auf.82 Um 1190 wurden im Bereich der heutigen Schmied- und Elisabethgasse die ersten geschlossenen Baublöcke angelegt. Der Umfang der Gemarkung war von Anfang an bemerkenswert und übersteigt alle umliegenden beträchtlich.

Die relativ schmalen Parzellen unterscheiden sich von den bäuerlichen. Deshalb kann angenommen werden, die Handwerker- und Kaufmannssiedlung war von Anfang an als Hauptstadt vorgesehen.

Die Mongolen zerstörten 1241 das aufstrebende Gemeinwesen. Nach der Erholung wurde die Siedlung aus der Unterstadt in die leichter zu verteidigende Oberstadt verlegt. Rund um die Burg mit Kirche und Propstei, dem späteren Huetplatz, entstanden zunächst der Kleine und dann der Große Ring und die sich anschließenden Straßen.

Mitte des 14. Jh. zählte Hermannstadt 25 Gewerbe, die in 19 Zünften zusammen geschlossen waren, nicht viel weniger als das damalige Köln. In ihrer Fläche war die Stadt "nit vil kleiner" als damals Wien.83 Im 17. Jh. genoss Hermannstadt u.a. den Ruf, die östlichste Stadt Europas mit Postanschluss zu sein. 1859 wurde zwischen Ober- und Unterstadt die "Lügenbrücke" gebaut, die erste gusseiserne Brücke. 1904 führte Hermannstadt als zweite Stadt Europas (!) eine elektrische Straßenbahn ein. Und 1989 lehnte sich Hermannstadt als zweite Stadt Rumäniens gegen den Kommunismus auf. 84

Als erster Deutscher seit 70 Jahren ist Bürgermeister von Hermannstadt Klaus Johannis, Vorsitzender des Demokratischen Forums der Deutschen in Rumänien, der 2004 mit über 90 % wieder gewählt wurde.

Voll des Lobes war der Leiter einer Bundestagsdelegation mit dem Blick auf die Entwicklung, die Hermannstadt in den letzten Jahren genommen hat. "Sehr beherzt" habe Klaus Johannis in dieser Zeit die Infrastrukturprobleme und das in Rumänien weit verbreitete Problem der Korruption angefasst. Der Erfolg sei nicht ausgeblieben. "Ein gutes Investitionsklima wurde geschaffen, das zu zahlreichen Neuansiedlungen geführt hat", erklärte Herr Marschewski nach dem Besuch am Zibin. Ein besonderer Coup sei dem Bürgermeister durch die gezielte Pflege internationaler Kontakte gelungen. 85

Heute lebt die Stadt mit rund 170.000 Einwohnern von Textilindustrie, Industrieanlagen- und Landmaschinenbau; weitere Erzeugnisse sind Getränke, Kerzen, Seifen und Lederwaren. 86 Etwa 2.000 Bürger sind Deutsche. Die EU-Kultusminister haben Hermannstadt für das Jahr 2007 zur "Kulturhauptstadt Europas" ernannt. Ebenfalls 2004 wurde die Altstadt von der UNESCO zum Weltkulturerbe erklärt. Beides löste diverse Bauaktivitäten in der Innenstadt aus.

Die Pfarrkirche wurde 1321 erstmals urkundlich erwähnt als die wichtigste und übergeordnete Kirche. Die heutige Stadtpfarrkirche ist ein einheitlicher gotischer Bau, der optisch die Straßen der Unter- und teilweise der Oberstadt dominiert. Das Gebäude wurde in drei Bauabschnitten zur Zeit der Gotik und Hochgotik errichtet.

Möglicherweise stammt der Unterbau des Turms noch von der romanischen Basilika. 1494 wurde am Turm gebaut, der im Grundriss eine Seitenlänge von 11 m und eine Höhe von 73,34 m erreicht. Westlich an den vom Kirchenschiff umgebenen Turm schließt sich die Ferula an, deren drei Gewölbejoche denen des Mittelschiffs entsprechen und an deren Wänden viele Grabplatten aufgestellt wurden.

Das ursprüngliche Konzept war eine gotische Basilika mit Querschiff und Chor mit 5/8-Apsis. Vier schlanke Fenster beleuchten den Chor. Das Kreuzrippengewölbe ruht auf kräftig gekehlten Rippen. Das anschließende Querschiff hat drei quadratische Kreuzrippengewölbe. Das südliche Seitenschiff wurde zur Hallenkirche auf die gleiche Höhe des Hauptschiffes gebracht und mit einem spätgotischen Netzgewölbe überspannt.
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Von der gotischen Wandbemalung ist das Fresko von Johannes von Rosenau zweifellos das bedeutendste erhaltene Kunstwerk. Das Gemälde von 5 x 9,50 m zeigt unten einen Christus hinter Gitter, flankiert von zwei Vierpässen und zwei knienden Stiftern. Im oberen Registerbogenfeld sind Geburt, Taufe und Himmelfahrt Christi dargestellt. Das Hauptregister stellt die Kreuzigung dar (links).

Ein besonders wertvolles ehernes Taufbecken steht unter dem Triumphbogen. Das Werk von Meister Leonhardus ist mit 1438 datiert. Der Kelch trägt Schriftbänder mit gotischen Minuskeln und 228 Reliefplaketten. Die Sakristeitür ist eine wertvolle Arbeit, auf deren schmiedeeisernem Beschlag Blumen, Sonne, Mond und Sterne nachgebildet sind. Im Kirchenraum hängen verschiedene Epitaphien vom 16. - 19. Jh. Die steinerne Kanzel wurde im 19. Jh. in die Ferula versetzt und durch eine hölzerne neugotische ersetzt. 87

Der Orgelprospekt stammt von 1672, das heutige Instrument von 1915 von Firma Sauer aus Frankfurt (Oder). - Vom fulminanten Klang der Orgel haben sich einige von uns an einem Vorabend selbst überzeugen lassen. Es spielte der aus Polen stammende, in Hamburg lebende, Zygmunt Strzep.

Das Bruhenthal-Palais ist eines der wichtigsten Denkmäler des Barock in Rumänien, erbaut zwischen 1778 und 1788, um dem Baron Samuel von Brukenthal als offizielle Residenz zu dienen und seine Sammlungen zu beherbergen. Einen Teil dieser Sammlung brachte Brukenthal aus Wien mit, als er Gouverneur des Großen Prinzipates Siebenbürgen wurde. Das Brukenthal-Museum besteht aus der Gemäldegalerie mit ungefähr 1.200 Werken europäischer Malerei des 15. - 18. Jh., dem Kupferstichkabinett mit mehr als 3.000 Stichen, Zeichnungen, Aquarellen und Grafiken und der Bibliothek mit über 280.000 Bänden, Handschriften und Inkunabeln. 88
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4.4 Kronstadt oder Brasov
An der Umbiegestelle der Karpaten wird das Gebirge durch besonders viele Pässe gegliedert. Kronstadt, im Südosten Siebenbürgens im Burzenland, in 600 Metern Höhe, entwickelte sich um eine 1211 vom Deutschen Orden gegründete Burg als Siedlung sächsischer Kolonisten, die den 1251 noch Brassovia genannten Ort 1235 in Corona bzw. Kronstadt umbenannten. Die Stadt war über Jahrhunderte das kulturelle, geistige und religiöse Zentrum der Siebenbürger Sachsen, die bis ins 19. Jh. die Mehrheit der Einwohner stellten. 89
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Während des Mongolensturms von 1241 sind die Bewohner der umliegenden Siedlungen nach Kronstadt geflüchtet. Die Stadt konnte drei Tatareneinfällen (1278, 1285 und 1335) nicht Stand halten.

Um die Mitte des 14. Jh. erlebte Kronstadt eine Zeit großer wirtschaftlicher Blüte. Der Handel mit den rumänischen Fürstentümern Walachei und Moldau entwickelte sich besonders, weil in Kronstadt wichtige Handelsstraßen aus diesen Ländern nach Siebenbürgen und ins westliche Europa führten.

In den Urkunden sind Handelsbeziehungen Kronstadts nach Bulgarien, an die Adriaküste, nach Ungarn und bis nach Wien, nach Böhmen, der Slowakei, Polen und Russland bezeugt. 90 Kronstadt gehörte bereits im 15. Jh. zu denfinanzkräftigsten Handelsstädten Südosteuropas. Hier wurde 1835 neben dem Klostergässer Tor die erste allgemeine Sparkasse gegründet.

Um 1830 war Kronstadt rein deutsch. 1950 - 60 hieß die Stadt Orasul Stalin, Stalinstadt. Am 15. November 1987 kam es hier zur ersten großen Straßendemonstration gegen das Ceausescu-Regime.

Kronstadt - vom mit der Seilbahn befahrbaren Karpatenkamm aus gesehen - hat heute etwa 314.000 Einwohner und ist das zweitwichtigste Industriezentrum nach Bukarest in Rumänien. Bedeutende Wirtschaftszweige sind der Bau von Traktoren, Lastwagen, Generatoren, Kugellagern, Musikinstrumenten, Werkzeugmaschinen und Ausrüstungen für die Erdölindustrie, chemische, Holz-, Baustoff-, Textil- und Nahrungsmittelindustrie. 91
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Das Wahrzeichen der Stadt ist die "Schwarze Kirche", geweiht der Jungfrau Maria, mit deren Bau die reichen deutschen Bürger der Stadt 1383 begannen. Nach rund hundertjähriger Bauzeit vollendet, war sie der östlichste gotische Dom und ist die größte gotische Kirche Südosteuropas mit deutscher Gottesdienstsprache. Mit ihren Maßen - 90 m lang, 25 bis 37 m breit, an den Mauern 21 m, bis zum Dachfirst 42 m und am Turm 65 m hoch - ist sie einer der größten Kultbauten zwischen dem Wiener Stephansdom und der Hagia Sophia in Istanbul. 92

Eine Vorgängerkirche dürfte spätestens aus der zweiten Hälfte des 13. Jh. stammen. Da Kronstadt an der äußersten südöstlichen Grenze des Abendlandes und damit des Einflussgebietes der Katholischen Kirche lag, versuchten deren Vertreter, die zahlreichen Fremden mit einem großen Gotteshaus zu beeindrucken und für ihre Religion zu gewinnen. Für die Baukosten wurden 1385, 1399, 1422, 1450, 1475 und 1516 päpstliche Ablassbriefe ausgestellt.
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Seit 1542, der Reformation unter Johannes Honterus (1498 - 1549, links sein Standbild südlich vom Turm der Schwarzen Kirche), der fünf Jahre hier wirkte, ist das Gotteshaus evangelisch. Geboren in Kronstadt, studierte er in Wien, wirkte in Krakau und Basel. Honterus, erster evangelischer Stadtpfarrer, ließ Bilder und Altäre entfernen. Honterus hat 1535 in Siebenbürgen eine Druckerei gegründet und das erste Buch drucken lassen. Neben dem Südturm steht sein Denkmal, das vor hundert Jahren ein Berliner geschaffen hat. Es zeigt den Reformator in Humanistentracht, der mit der ausgestreckten Hand auf die von ihm 1541 gegründete Schule weist. In seiner linken Hand hält er das "Reformationsbüchlein" und die "Schulordnung". Die Schule ist die älteste humanistische Lehranstalt Siebenbürgens mit noch heute deutscher Unterrichtssprache, das Schulstatut ist ebenfalls das älteste seiner Art. Johannes Hont, genannt Honterus, wurde in der Kirche vor dem linken Pfeiler vor dem Altar begraben.

Während der großen Pestepidemie von 1602 - 03 wurden mehrere Hundert Tote in der Kirche begraben. Auch Geistliche, Stadtrichter, Ratsherren, Lehrer und Handwerker wurden im Laufe der Jahrhunderte hier beigesetzt. Seit der Brandkatastrofe von 1689 wird die Pfarrkirche die "Schwarze Kirche" genannt, weil sie lange Zeit als brandgeschwärzte Ruine dastand. Zuerst brannte das Dach und stürzte auf das Gewölbe und durchbrach es, danach brannte die ganze Einrichtung: Orgel, Altar, Kanzel, Epitaphien, Gestühl, Teppiche und Bücher der berühmten Honterus-Bibliothek. Einzig das Taufbecken von 1472 und der Kirchenschatz in der Sakristei blieben verschont. Der Wiederaufbau begann 1691 und dauerte rund 80 Jahre, bis die Gewölbe wieder geschlossen waren.

Der Chor wird mit 7/16 geschlossen. Er wird außen von 15 Strebepfeilern gestützt, die mit Standbildern dekoriert sind und in Fialen auslaufen.

Der Nordturm wurde nur bis zur Dachtraufe gebaut, während der Südturm 44 m hoch gemauert wurde, was bei seiner Gesamthöhe nicht ganz den gotischen Stilverhältnissen entspricht. Jedoch liegt Kronstadt in einem Erdbebengebiet, so dass man sich nicht traute, höher zu bauen. Die große Glocke ist 104 Zentner (zu 56 kg) und damit rund 6.000 kg schwer. Sie ist etwa 500 Jahre alt und wurde, nach mehreren Abstürzen und dem Brand, im Laufe der Zeit mehrmals neu gegossen, zuletzt vor fast 150 Jahren. An der größten schwingenden Glocke Rumäniens mussten vor ihrer Elektrifizierung acht Männer ziehen.

Die Südvorhalle zeigt im Tympanon eine wertvolle mittelalterliche Wandmalerei mit Maria mit dem Jesuskind, flankiert von der Hl. Katharina und der Hl. Barbara. In den unteren Ecken sind die Wappen des ungarischen Königs Matthias Corvinus und seiner Gattin Beatrix von Aragonien zu sehen. An der Nordwand des Chores sind Spuren der früheren Wandchronik für die Zeit von 1143 bis 1571 zu erkennen.

Die Kirche schmücken mehr als 100 alte Teppiche aus dem 16. - 18. Jh. aus Anatolien. Sie bilden die größte Sammlung alter orientalischer Teppiche aus Kleinasien in Europa außerhalb der Türkei. Es sind zum Teil Gebetsteppiche, die vernichtet werden sollten, aber "sie waren schon in so vielen Gottesdiensten, dass sie schon alle fromm sind". Die Teppiche wurden gespendet, auch um Kirchensteuern zu sparen.

An den Brüstungen und Rückwänden der Bankreihen sind Zunftgemälde auf Holz angebracht. Das frühere Schneidergestühl zeigt auf zwei Tafeln die zehn Tugenden. Das Tischler-Gestühl ist das älteste und eines der schönsten. Bei den Bänken vor der Kanzel ist die Lehne umklappbar. Im nördlichen Seitenschiff, hinter der Kanzel, steht das alte Lehrerund Professorengestühl, gegenüber der Kanzel das Ratsherrengestühl.

Unter dem Triumphbogen steht das Taufbecken in der Form eines gotischen Kelches, das von einem schmiedeeisernen Gitter umgeben ist. Der Altar zeigt die Bergpredigt.

Auf der Empore steht die einzige funktionierende Buchholz-Orgel aus Berlin, heute mit einem Motor betrieben; Stralsund hat auch eine. Sie hat vier Manuale, 76 Register und rund 4.000 Pfeifen von bis zu 10 m Länge. Die Emporen in den Seitenschiffen sind ab 1710 hauptsächlich für die Gesellen und Lehrjungen erbaut worden, da in der Kirche zu wenig Platz für alle Gottesdienstbesucher war. 93

Das Südportal trägt im Tympanon die "Schwarze Madonna", deren Kleid bei der Restaurierung nicht blau, sondern immer wieder schwarz wurde, wie uns die junge Kunststudentin erklärte. Schade, dass in der Kirche Fotoverbot herrscht.

Die Honterus-Gemeinde hat heute etwa 1.200 Mitglieder.

4.5 Neumarkt oder Târgu Mures oder Marosvásárhely
Die Bezirkshauptstadt am Fluss Mieresch (Mures) hat etwa 165.000 Einwohner, von denen etwa die Hälfte Ungarn sind (1910: 90 %). (rechts: Zigeunerinnen) Besonders die Chemiebranche ist stark, am Ort befindet sich eine Erdölraffinerie. Hergestellt werden
Zucker, Tabakwaren, Schnittholz und Schuhe. 94

Sehenswerte Bauwerke sind die gotische Kirche aus dem 15. Jh. und der Teleki-Palast.
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Vor dem Palast stellen zwei Denkmäler 95 die rumänische Geschichte in komprimierter Form dar: das Standbild für Romulus und Remus mit der Wölfin steht für die römische Gründung, das Brustbild von Michael dem Tapferen (Mihai Viteazul) stellt den Volkshelden dar, der 1600 von der Walachei aus erstmals alle von Rumänen bewohnten Gebiete unter seiner Herrschaft zusammen fassen konnte.

4.6 Klausenburg oder Cluj Napoca
Die wichtigste Stadt im Nordwesten Siebenbürgens erstreckt sich auf den Terrassen des Somesul Mic in 350 Metern Höhe. Die dakische Siedlung Napoca wurde während der römischen Besetzung zum Munizipium und sodann zur Kolonie erhoben. Vom 9. bis 11. Jh. entwickelte sich hier die Wojwodschaft Gelus, doch begann die eigentliche Stadtentwicklung erst, als nach der Niederschlagung der Mongolen die ungarischen Könige die deutsche Kolonisation förderten. 96

Nach der 1867 einsetzenden Magyarisierungs-Politik ging der Anteil der deutschstämmigen Bevölkerung ständig zurück. Der Anteil der Ungarn sank aber auch von 83 % in 1910 auf 49 % in 1930.

Klausenburg hat eine Universität, den größten botanischen Garten des Landes und eine chemische, Lebensmittel-, Maschinen- sowie Leder- und Schuhindustrie.
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